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Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Titel: Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sich wieder eine Zigarette an und beobachtete Pounds, der gerade seine kunstvoll geplante »improvisierte« Pressekonferenz beendete. An den Kameras und den teueren Klamotten erkannte Harry, daß die meisten Reporter vom Fernsehen waren. Bremmer von der Times stand am Rand des Rudels. Er hatte ihn seit einiger Zeit nicht gesehen und stellte fest, daß er zugenommen hatte und einen Vollbart trug. Bosch wußte, daß Bremmer am Rande des Geschehens wartete, bis die Fernsehfragen erledigt waren, so daß er Pounds mit Fragen konfrontieren konnte, die sich nicht so leicht beantworten ließen.
    Bosch rauchte und wartete fünf Minuten, bis Pounds fertig war. Er lief Gefahr, zu spät ins Gericht zu kommen, aber er wollte den Brief sehen. Als Pounds endlich die Reporter abgefertigt hatte, gab er Bosch ein Zeichen, ihm zum Auto zu folgen. Bosch setzte sich auf den Beifahrersitz, und Pounds reichte ihm den Brief.
    Harry nahm sich viel Zeit, den Brief zu untersuchen. Er war mit den bekannten krakeligen Druckbuchstaben geschrieben. Der Experte von der Abteilung für Dokumente hatte erklärt, bei den Druckbuchstaben handele es sich um Philadelphia-Stil. Die Neigung nach links komme dadurch zustande, daß ein Linkshänder etwas mit seiner ungeübten rechten Hand geschrieben habe.
     
    In der Zeitung steht, der Prozeß, er hebt an
    Ein Urteil zu fällen über den Puppenmachermann
    Und die Kugel gefeuert von Bosch in Treu und Glaub
    Doch die Puppen wissen, ich bin noch zugang mit Verlaub
     
    An Western liegt die Stell, mein Herz zerspring’s
    Denk ich ans Püppchen, das ruht unter Bing’s
    Oh Graus, treuer Bosch, ein Schuß aufs falsche Ziel
    Die Jahre vergingen, aber ich bin noch im Spiel
     
    Bosch wußte, daß man Stil imitieren konnte. Aber irgend etwas an dem Gedicht fraß sich in sein Herz. Es war wie die anderen. Die gleichen miesen Schülerreime, der gleiche halbgebildete Versuch, sich poetisch auszudrücken. Verwirrung und Schmerz füllten seine Brust.
    Er ist es, dachte er. Er ist es.

3
    »Damen und Herren der Jury«, fing U. S.-District-Richter Alva Keyes an. »Wir beginnen den Prozeß mit den Eröffnungsplädoyers beider Seiten. Sie sind nicht als Beweis zu verstehen, sondern eher als Baupläne oder Straßenkarten, mit denen die Rechtsanwälte darlegen, welchen Weg sie einzuschlagen denken. Noch einmal, es sind keine Beweise. Sie werden einige erstaunliche Behauptungen hören. Nur weil sie aufgestellt werden, müssen sie aber nicht wahr sein; schließlich haben wir es mit Rechtsanwälten zu tun.«
    Die Reaktion der Jury und der Zuschauer war höfliches Gelächter. Die Heiterkeit wurde noch dadurch erhöht, daß es sich im Südstaatenakzent des Richter angehört hatte, als habe er die Rechtsanwälte als Rechtsverdreher bezeichnet. Sogar Money Chandler lächelte. Bosch drehte sich auf seinem Platz am Tisch der Verteidigung um und sah, daß die Zuschauerbänke in dem holzgetäfelten, sechs Meter hohen Saal zur Hälfte besetzt waren. In der vordersten Reihe auf der Klägerseite saßen acht Personen, die zur Familie und zum Freundeskreis von Norman Church gehörten. Die Witwe selbst saß neben Chandler am Klägertisch.
    Außerdem war ein halbes Dutzend Gerichtsratten anwesend, alte Männer, die nichts Besseres zu tun hatten, als die Lebensdramen anderer Menschen zu verfolgen. Des weiteren waren noch einige Referendare und Jurastudenten da, die die große Honey Chandler in Aktion sehen wollten, sowie eine Gruppe Reporter mit gezückten Bleistiften. Die Eröffnung lieferte immer eine gute Story, weil – wie der Richter erklärt hatte – die Anwälte sagen konnten, was sie wollten. Nach dem heutigen Tag würden die Reporter nur noch ab und zu vorbeikommen; bis zu den Abschlußplädoyers und dem Urteil würde es jedoch nicht mehr viel Berichtenswertes geben.
    Außer es geschah etwas Ungewöhnliches.
    Bosch sah direkt hinter sich. Dort saß niemand auf den Bänken Er wußte, Sylvia Moore würde nicht da sein; das hatten sie vorher besprochen. Sie sollte nicht Zeuge des Spektakels werden. Er hatte ihr gesagt, es sei eine reine Formalität und es würde zum Berufsrisiko eines Polizisten gehören, verklagt zu werden, weil man seine Arbeit tat. Aber der wahre Grund, warum er sie nicht hierhaben wollte, war, daß er keine Kontrolle über die Situation hatte. Er mußte am Tisch der Verteidigung sitzen und als Zielscheibe dienen. Alles mögliche könnte und würde wahrscheinlich zur Sprache kommen. Er wollte nicht, daß sie dabei

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