Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
gesagt hast, aber ich möchte kommen und beim Prozeß zusehen – wenigstens an einem Tag. Ich möchte für dich dort sein, Harry.«
»Du mußt nicht kommen, um für mich da zu sein. Verstehst du mich?«
Sie nickte, doch er wußte, daß die Antwort sie nicht zufriedenstellte. Sie ließen das Thema fallen, sprachen über Nebensächliches und verabredeten sich fürs Abendessen. Bosch versprach, er würde zu ihrem Haus im Bouquet Canyon kommen. Sie küßten sich noch einmal und machten sich auf den Weg, er zum Gericht und sie in die Schule – beides gefährliche Orte.
Jeden Morgen vor der Eröffnung der Verhandlung, wenn es im Gerichtssaal still wurde und alle darauf warteten, daß der Richter durch die Tür kam und seinen Platz einnahm, fühlte er, wie sein Adrenalinspiegel stieg. Es war 9.10 Uhr, und vom Richter war noch nichts zu sehen, was eigenartig war, da er während der Woche der Geschworenenauswahl auf absolute Pünktlichkeit geachtet hatte. Bosch blickte sich um und sah einige Reporter, vielleicht mehr als gestern. Er wunderte sich, weil zu den Eröffnungsplädoyers normalerweise mehr kamen.
Belk lehnte sich zu Bosch und flüsterte: »Keyes liest wohl noch die Times-Story. Haben Sie sie gesehen?«
Weil es wegen Sylvia spät geworden war, hatte er keine Zeit gehabt, die Zeitung zu lesen, und sie auf der Fußmatte vor der Haustür liegen lassen.
»Was steht drin?«
In der holzgetäfelten Wand öffnete sich die Tür, und Richter Keyes kam heraus, bevor Belk antworten konnte »Lassen Sie die Jury noch nicht herein, Miss Rivera«, sagte der Richter zu der Gerichtsdienerin. Er ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den gepolsterten Sessel fallen und musterte den Saal. »Gibt es seitens der Anwälte irgend etwas, worüber wir sprechen sollten, bevor die Jury kommt? Ms. Chandler?«
»Ja, Euer Ehren«, antwortete Chandler und ging zum Pult.
Heute trug sie ihr graues Kostüm. Seit dem Beginn der Juryauswahl hatte sie abwechselnd drei Kostüme getragen. Belk hatte Bosch erklärt, daß sie den Geschworenen nicht den Eindruck vermitteln wollte, daß sie reich sei. Wegen so etwas könnten Anwältinnen weibliche Geschworene gegen sich einnehmen.
»Euer Ehren, die Klägerseite beantragt, daß das Gericht Detective Bosch und Mr. Belk maßregelt.«
Sie hielt den gefalteten Lokalteil der Times hoch. Bosch sah, daß der Artikel unten rechts stand, wie am Tag zuvor. Die Schlagzeile lautete: BETON-BLONDINE, VERBINDUNG ZUM PUPPENMACHER. Belk stand auf, sagte jedoch nichts und hielt sich ausnahmsweise an das strenge Verbot des Richters, nicht zu unterbrechen.
»Maßregelungen wofür, Ms. Chandler?« fragte der Richter.
»Euer Ehren, der gestrige Fund einer Leiche hat eine außerordentliche Auswirkung auf die Beweislage in diesem Prozeß. Als Rechtsvertreter hatte Mr. Belk die Pflicht, diese Information mitzuteilen. Gemäß Paragraph 11 der Verfahrensordnung hat der Verteidiger des Beklagten …«
»Euer Ehren«, unterbrach Belk, »ich erhielt von dieser Entwicklung erst gestern abend Kenntnis. Es war meine Absicht, diese Sache heute zur Sprache zu bringen. Sie …«
»Ein Moment, Mr. Belk. Immer der Reihe nach in meinem Gerichtssaal. Anscheinend muß ich Sie täglich daran erinnern. Ms. Chandler, ich habe den Artikel gelesen, aber Detective Bosch wird nicht zitiert, obwohl sein Name wegen dieses Falls erwähnt wird. Und Mr. Belk hat auf unhöfliche Weise eingeworfen, daß er von der Sache erst nach der Verhandlung gestern erfuhr. Ehrlich gesagt, ich kann keinen Verstoß entdecken. Außer Sie haben noch etwas in der Rückhand.«
Sie hatte.
»Euer Ehren, Detective Bosch war sehr wohl darüber unterrichtet, ob zitiert oder nicht. Er war gestern während der Mittagspause am Fundort.«
»Euer Ehren?« versuchte Belk ängstlich.
Richter Keyes sah herüber, allerdings nicht zu ihm, sondern zu Bosch.
»Ist das wahr, was sie sagt, Detective Bosch?«
Einen Moment schaute Bosch Belk an, dann blickte er zum Richter. Scheiß Belk, dachte er. Mit seiner Lüge hatte er Bosch im Regen stehen lassen.
»Euer Ehren, ich war dort. Als ich zur Nachmittagssitzung zurückkam, war jedoch nicht genug Zeit mehr, Mr. Belk von dem Fund zu berichten. Ich habe ihn dann hinterher informiert. Was heute in der Zeitung steht, habe ich noch nicht gelesen, aber in bezug auf den Puppenmacher ist noch nichts bestätigt worden. Die Leiche ist noch nicht einmal identifiziert worden.«
»Euer Ehren«, sagte Chandler, »Detective Bosch hat wohl
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