Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
einen Raum zur Verfügung gestellt, und sie nehmen alles für uns auf. Lindell ist bereits dorthin unterwegs. So sind alle zufrieden, und jeder kommt auf seine Kosten.«
So war es immer. Um sich an die eigentliche Arbeit machen zu können, musste man erst den Hickhack der Ermittlungsbehörden über sich ergehen lassen. Ich war froh, mit diesem Gefeilsche um Zuständigkeiten nichts mehr zu tun zu haben.
»Du kannst jetzt aufstehen, Harry«, sagte Rider. »Ich fahre.«
Ich stand auf.
»Erst möchte ich noch kurz aufs Sonnendeck gehen. Einen Blick nach unten werfen.«
Sie ließ mich. Ich ging ans Geländer und sah nach unten. Sie hatten riesige Scheinwerfer aufgestellt. Der Abhang war wie ein Ameisenhügel, auf dem es von Technikern der Spurensicherung wimmelte. An den Leichen machten sich Gerichtsmediziner zu schaffen, und über dem Ganzen kreisten in einer lauten Multilevel-Choreographie die Hubschrauber. Mir war klar, mein bisheriges Verhältnis zu den Nachbarn, wie auch immer es beschaffen gewesen sein mochte, gehörte inzwischen der Vergangenheit an.
»Weißt du was, Kiz?«
»Nein. Was, Harry?«
»Ich glaube, es wird Zeit, das Haus zu verkaufen.«
»Na, dann viel Glück, Harry.«
Sie nahm mich am Arm und zog mich vom Geländer fort.
41
Die North Hollywood Station war die neueste Polizeistation der Stadt. Sie war nach dem Erdbeben und den Rodney-King-Unruhen gebaut worden. Außen war sie eine gemauerte Festung, entworfen, um tektonischen und sozialen Verwerfungen gleichermaßen standzuhalten. Innen war sie, was Komfort und Elektronik anging, auf dem neuesten Stand der Technik. Ich wurde in einem großen Verhörraum an einen Tisch gesetzt. Ich konnte die Mikrofone und Kameras nicht sehen, aber ich wusste, sie waren da. Ich wusste auch, dass ich vorsichtig sein musste. Ich hatte mich auf einen gefährlichen Handel eingelassen. Wenn ich aus einem Vierteljahrhundert bei der Polizei etwas gelernt hatte, dann, nicht ohne den Beistand eines Anwalts mit der Polizei zu reden. Und jetzt stand ich kurz davor, genau das zu tun. Ich stand im Begriff, mich zwei Personen zu öffnen, die grundsätzlich bereit waren, mir zu glauben und mir zu helfen. Aber das würde keine Rolle spielen. Was eine Rolle spielte, war die Tonbandaufnahme. Ich musste vorsichtig sein und aufpassen, dass ich nichts sagte, was auf mich zurückfallen konnte, wenn sich die Leute das Band anhörten, die nicht meine Freunde waren.
Kizmin Rider startete die Prozedur, indem sie unsere drei Namen sowie Datum, Ort und Uhrzeit nannte und mich dann auf meine verfassungsmäßigen Rechte auf einen Anwalt sowie die Möglichkeit der Aussageverweigerung hinwies. Danach forderte sie mich auf, sowohl verbal als auch schriftlich zu bestätigen, dass ich mir dieser Rechte bewusst sei und sie aus freien Stücken nicht in Anspruch nehme. Das tat ich. Ich war ihr ein guter Lehrer gewesen.
Dann kam sie ohne Umschweife zur Sache.
»Okay, Harry, in deinem Haus wurden vier Personen, darunter ein FBI-Agent, tot aufgefunden, nicht eingerechnet ein fünfter Mann, der im Koma liegt. Bist du bereit, uns alles darüber zu erzählen?«
»Ich habe zwei von ihnen getötet – in Notwehr. Und der Kerl im Koma, das war ich auch.«
»Okay, dann schildere uns bitte, wie es dazu kam.«
Ich begann im Baked Potato und spann den Faden von dort weiter. Ich ließ Sugar Ray, das Quartett, den Pförtner sowie die Barfrauen und ihre Tattoos in meine Schilderung einfließen. Sogar die Kassiererin, von der ich im Ralph's den Kaffee gekauft hatte, beschrieb ich. Ich erwähnte so viele Details wie möglich, weil mir klar war, dass diese Details sie überzeugen würden, wenn sie alles nachprüften. Aus Erfahrung wusste ich, dass Gespräche Hörensagencharakter hatten und folglich auch nicht nachprüfbar waren. Wenn man also erzählen wollte, was Leute gesagt hatten und wie sie es gesagt hatten – vor allem Leute, die nicht mehr am Leben waren –, dann würzte man die Geschichte am besten mit Dingen, die nachgeprüft und bewiesen werden konnten. Mit Details. Das Heil lag in den Details.
Deshalb hielt ich alles, woran ich mich erinnern konnte, auf Band fest, einschließlich des Marilyn-Monroe-Tattoos. Roy Lindell musste darüber lachen, aber Rider schien es nicht witzig zu finden.
Ich führte sie durch die Geschichte und beschrieb die Dinge so, wie sie sich ereignet hatten. Ich lieferte keine Hintergrundinformationen, weil ich wusste, dass sie bei der anschließenden Vernehmung ans
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