Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
verstecken, aber ihr wolltet auch Zugang zu ihr haben, habe ich Recht? Ihr wolltet genau wissen, wo sie ist. Schließlich war sie euer Trumpf im Ärmel, stimmt's? Mit ihrer Hilfe wolltet ihr diese Typen drankriegen. Mit Marty und ihrem Computer. Die Verbindung war in ihrem Laptop. Ihr hättet nur Marty und ihren Computer zu finden gebraucht, und schon wäre die Verbindung hergestellt gewesen und Linus Simonson wäre dran gewesen.«
Ich hielt inne, um ihm Gelegenheit zu geben, mir zu widersprechen, mir zu sagen, ich solle mich zum Teufel scheren, oder mich einen Lügner zu nennen. Aber er tat nichts von all dem. Er sagte kein Wort.
»Es schien alles reibungslos zu funktionieren«, fuhr ich fort. »Doch dann kam der Tag, an dem ihr im Nat's das Geschäft perfekt machen wolltet, richtig? Ein Handschlag unter Männern, und ihr hättet euch das viele Geld geteilt? Nur hatte sich Linus Simonson die Sache etwas anders vorgestellt. Wie sich herausstellte, wollte er nämlich nicht teilen, und was Gesslers Computer anging, wollte er es einfach drauf ankommen lassen. Damit hattet ihr nun gar nicht gerechnet. Ihr zwei saßt seelenruhig in dieser Bar und wart in Gedanken wahrscheinlich schon beim Geldzählen, als er zur Tür hereinkommt und euch einfach über den Haufen knallt …
Ich finde, darauf hättet ihr gefasst sein müssen, Law.«
Ich beugte mich vor und tippte mit dem Finger auf die Karte.
»Bronson Canyon. Die vielen Gänge und Höhlen. Wo ihr den Jungen gefunden hattet.«
Mein Blick kam von der Karte hoch.
»Es war vermutlich folgendermaßen. Die Straßen, die dort hinaufführen, sind gesperrt. Aber ihr zwei hattet einen Schlüssel, stimmt's? Von dem Entführungsfall mit dem Jungen. Ihr hattet den Schlüssel behalten, und jetzt konntet ihr ihn plötzlich gut gebrauchen. Wo ist sie?«
Endlich hob Cross den Blick und sah mich an.
»Schau doch, was sie mir angetan haben«, sagte er. »Sie haben es nicht anders verdient.«
Ich nickte zustimmend.
»Und du hast es auch nicht anders verdient. Wo ist sie?«
Er wandte den Blick von mir ab und sah zum ausgeschalteten Fernseher hoch. Er sagte nichts. In meinem Bauch keimte Wut auf. Ich dachte an Milton und wie er die Luftschläuche zugedrückt hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, ein Monster zu werden, genau das zu werden, was ich jagte. Ich machte einen Schritt auf Lawton Cross' Stuhl zu und sah mit zornfunkelnden Augen auf ihn hinab. Ich hob die Hände langsam zu seinem Gesicht hoch.
»Sag's ihm.«
Ich drehte mich um, und Danny Cross stand in der Tür. Ich wusste nicht, wie lang sie schon dort gestanden hatte oder was sie gehört hatte. Ich wusste nicht, ob es etwas war, was neu für sie war, oder nicht. Ich wusste nur, dass sie mich vom Rand des Abgrunds zurückholte. Ich drehte mich wieder um und sah Lawton Cross an. Sein Blick war auf seine Frau gerichtet, und obwohl sein Gesicht völlig starr war, nahm es irgendwie einen traurigen, tief bekümmerten Ausdruck an.
»Sag's ihm, Lawton«, sagte sie. »Oder ich bin in Zukunft nicht mehr an deiner Seite.«
Sofort erfasste ein Ausdruck der Angst sein Gesicht. Dann bekam sein Blick etwas Flehentliches.
»Versprichst du mir, bei mir zu bleiben?«
»Ja.«
Sein Blick senkte sich auf die über den Stuhl gebreitete Karte.
»Die brauchst du gar nicht«, sagte er dann. »Fahr einfach die Straße rauf, bis ganz ans Ende. Dann gehst du in die große Höhle und nimmst den rechten Gang. Er führt zu einer offenen Stelle. Irgendjemand hat uns gesagt, man nennt sie die Teufelsschale. Jedenfalls war das die Stelle, wo wir ihn gefunden haben. Und jetzt ist sie dort.«
Er konnte meinem Blick nicht mehr standhalten und sah weg, wieder auf die Karte hinab.
»Wo muss ich nachsehen, Lawton?«
»Wo der Junge gelegen hat. Seine Familie hat die Stelle gekennzeichnet. Es ist nicht zu übersehen, wenn du dort bist.«
Ich nickte. Ich verstand. Langsam nahm ich die Karte von seinem Schoß und faltete sie wieder. Ich beobachtete ihn, während ich es tat. Er wirkte wieder ruhig, sein Gesicht war jetzt völlig ausdruckslos. Ich hatte diesen Blick schon tausendmal in den Augen und Gesichtern derer gesehen, die gestanden hatten. Wenn die Last von ihnen abfiel.
Sonst gab es nichts zu sagen. Ich steckte die Karte wieder in den Ordner und verließ damit das Zimmer. Danny Cross hatte direkt hinter der Tür gewartet und sah jetzt zu ihrem Mann hinein. Ich blieb stehen, als ich sie erreichte.
»Er ist ein schwarzes Loch«, sagte ich. »Er
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