Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
verstehen, dass Sie – oder das FBI – denken, sie ist noch am Leben? Eben sagten Sie noch, man nimmt an, sie ist tot.«
»Das war nur so dahingesagt, Mon. Ich glaube nicht, dass sich ihretwegen jemand graue Haare wachsen lässt, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Klar. Ist dieser Artikel bei den Ausschnitten, die Sie mir schicken?«
»Es ist alles dabei. Und immer schön dran denken, wer Ihnen das alles geschickt hat. Ferrell ist zwar ein netter Kerl, aber ich möchte auf keinen Fall, dass Sie ihn anrufen, wenn irgendetwas von dem, was Sie machen, für Furore sorgt.«
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen, Keisha.«
»Ich weiß, Sie führen was im Schilde. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, was Sie angeht.«
Ich blieb auf halbem Weg über den Vorplatz des FBI-Gebäudes stehen. Falls sie beim FBI angerufen und mit Nunez gesprochen hatte, wäre der Agent nicht unbedingt begeistert, dass ich eine neugierige Journalistin eingeweiht hatte.
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich ruhig. »Was haben Sie gemacht?«
»Ich habe mehr getan, als nur die Ausschnitte durchgesehen. Ich habe in Sacramento angerufen. Bei der staatlichen Lizenzvergabestelle. Ich habe herausgefunden, dass Sie eine Privatdetektivlizenz beantragt und erhalten haben.«
»Na und? Das tut jeder Polizist, der den Dienst quittiert. Das gehört einfach dazu, wenn man den Job an den Nagel hängt. Man denkt sich: Na schön, besorge ich mir einfach eine Lizenz und schnappe weiter die bösen Buben. Meine Lizenz liegt irgendwo zu Hause in einer Schublade herum, Keisha. Ich bin nicht in dieser Branche tätig und arbeite auch für niemanden.«
»Schon gut, Harry, schon gut.«
»Danke für die Ausschnitte. Ich muss jetzt los.«
»Tschüs, Harry.«
Ich machte das Handy aus und grinste. Der verbale Schlagabtausch mit ihr machte Spaß. Nach zehn Jahren als Polizeireporterin machte sie keinen zynischeren Eindruck als an dem Tag, als ich zum ersten Mal mit ihr gesprochen hatte. Für eine Journalistin war das erstaunlich, und ganz besonders für eine schwarze Journalistin.
Ich sah an dem Gebäude hoch. Es war ein Betonklotz, der von meinem Standort aus die Sonne verdeckte. Ich war zehn Meter vom Eingang entfernt. Aber ich ging zu einer Reihe Bänke rechts vom Eingang und setzte mich. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich sehr spät dran war für meinen Termin bei Nunez. Das Problem war, ich wusste nicht, in was ich dort oben reingeraten würde, und deshalb sträubte ich mich, durch die Tür zu gehen. Diese FBI-Typen hatten so eine Art, einen zu verunsichern, einem klar zu machen, dass das ihre Welt war und man selbst nur ein geladener Gast. Ich vermutete, dass ich ohne Dienstmarke eher wie ein nicht geladener Gast behandelt würde.
Ich machte das Handy wieder an und wählte die Nummer des Parker Center, eine der wenigen Nummern, die ich noch im Kopf hatte. Ich verlangte nach Kiz Rider im Büro des Chief und wurde durchgestellt. Sie nahm sofort ab.
»Kiz, ich bin's, Harry.«
»Hallo, Harry.«
Ich versuchte, etwas aus ihrem Tonfall herauszulesen, aber sie hatte ihre Antwort vollkommen neutral gehalten. Ich konnte nicht sagen, wie viel vom Ärger und der Animosität des Vormittags zurückgeblieben war.
»Wie geht's? Hast du dich wieder einigermaßen eingekriegt?«
»Hast du meine Nachricht erhalten, Harry?«
»Eine Nachricht? Nein, was für eine Nachricht?«
»Ich habe bei dir zu Hause angerufen. Um mich bei dir zu entschuldigen. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass bei meinem Besuch bei dir persönliche Gefühle mit ins Spiel kamen. Es tut mir Leid.«
»Alles halb so wild, Kiz. Ich wollte mich auch entschuldigen.«
»Tatsächlich? Wofür?«
»Ich weiß nicht. Für die Art, wie ich bei der Polizei aufgehört habe, wahrscheinlich. Das hatten du und Edgar nicht verdient. Vor allem du nicht. Ich hätte mit euch beiden darüber reden sollen. Wie es sich unter Partnern eigentlich gehört hätte. Ich schätze, in diesem Moment war ich kein sehr guter Partner.«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Das ist übrigens, was ich dir auf den Anrufbeantworter gesprochen habe. Schnee von gestern. Lass uns einfach nur Freunde sein.«
»Das fände ich schön. Aber …«
Ich wartete, ob sie die Einladung aufgreifen würde.
»Was aber, Harry?«
»Naja, ich weiß nicht, wie gut du gleich noch auf mich zu sprechen sein wirst. Ich muss dir nämlich eine Frage stellen, die dir wahrscheinlich nicht besonders gefallen wird.«
Sie stöhnte so laut ins
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