Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
irgendwie möglich ist?«
»Sie sind also an was dran, Harry.«
»Gewissermaßen. Ob es allerdings etwas mit Martha Gessler zu tun hat oder nicht, weiß ich nicht. Aber lassen Sie mir noch bis nächste Woche Zeit, okay?«
»Kein Problem, wenn Sie mir Bescheid geben, sobald Sie klarer sehen.«
»Okay, rufen Sie mich einfach an. Könnten Sie mir die Ausschnitte über sie ziehen? Ich würde gern lesen, was Sie damals geschrieben haben.«
Ich wusste, sie nannten es noch immer ›die Ausschnitte ziehen‹, obwohl inzwischen alles im Computer war und richtige Zeitungsausschnitte längst der Vergangenheit angehörten.
»Klar, kann ich machen. Haben Sie Fax oder E-Mail?«
Ich hatte weder das eine noch das andere.
»Vielleicht können Sie sie mir ja einfach mit der Post schicken. Mit der richtigen Post, meine ich.«
Ich hörte sie lachen.
»So bringen Sie es aber als moderner Privatdetektiv nicht weit, Harry. Wahrscheinlich ist alles, was Sie haben, ein Regenmantel.«
»Ich habe ein Handy.«
»Na, das ist ja schon mal etwas.«
Ich lächelte und gab ihr meine Adresse. Sie sagte, die Zeitungsausschnitte würden noch mit der Nachmittagspost rausgehen. Sie fragte mich nach meiner Handynummer, damit sie mich in der kommenden Woche anrufen könnte, und ich gab sie ihr ebenfalls.
Danach dankte ich ihr und machte das Telefon aus. Ich saß eine Weile da und dachte nach. Ich hatte mich damals für den Fall Martha Gessler interessiert. Ich hatte sie nicht gekannt, aber meine Exfrau hatte sie gekannt. Sie hatten Jahre zuvor beim FBI in der Abteilung Bankraub zusammengearbeitet. Die Meldungen über ihr Verschwinden hatte sich mehrere Tage lang in den Nachrichten gehalten, bis sie sporadischer wurden und schließlich ganz herausfielen. Ich hatte bis jetzt nicht mehr an sie gedacht.
Ich spürte ein Brennen in meiner Brust, und ich wusste, es war nicht der Mittagsmartini, der wieder hochkam. Ich fühlte mich, als wäre ich einer Sache auf der Spur. Wie ein Kind, das im Dunkeln etwas nicht sehen kann, aber trotzdem ganz sicher ist, dass es da ist.
9
Ich holte den Instrumentenkoffer hinten aus dem Mercedes und ging damit auf die Flügeltür des Seniorenheims zu. Ich nickte der Frau an der Rezeption im Vorübergehen zu. Sie hielt mich nicht zurück. Inzwischen kannte sie mich. Ich ging rechts den Flur hinunter und öffnete die Tür zum Musikzimmer. Im hinteren Ende des Raums standen ein Klavier und eine Orgel, und für Konzerte waren Stühle aufgestellt, aber ich wusste, dass es davon nur wenige gab. Quentin McKinzie saß zusammengesunken auf einem Platz in der vordersten Reihe. Sein Kinn war unten, seine Augen geschlossen. Ich stieß ihn sanft gegen die Schulter, und sofort kamen sein Gesicht und seine Augen hoch.
»Entschuldige bitte die Verspätung, Sugar Ray.«
Ich glaube, es gefiel ihm, dass ich ihn mit seinem Künstlernamen ansprach. Er war als Sugar Ray McK bekannt gewesen, weil er auf der Bühne beim Spielen immer gefintet und mit dem Oberkörper gearbeitet hatte wie Sugar Ray Robinson im Ring.
Ich zog einen Stuhl aus der vordersten Reihe und stellte ihn Sugar Ray gegenüber. Ich setzte mich darauf und stellte den Koffer auf den Boden. Ich ließ die Verschlüsse aufschnappen und öffnete ihn, sodass das blitzende Instrument, das sich in das rotbraune Samtfutter schmiegte, zum Vorschein kam.
»Heute kann ich nicht so lange wie sonst«, sagte ich. »Ich hab um vier einen Termin in Westwood.«
»Wenn man pensioniert ist, hat man keine Termine.« Sugar Rays Stimme klang, als wäre sie nur ein paar Häuser neben Louis Armstrong groß geworden. »Wenn man pensioniert ist, hat man alle Zeit der Welt.«
»Also, ich habe da gerade was laufen, und es könnte sein … also, ich werde zwar versuchen, unsere Termine einzuhalten, aber die nächsten paar Wochen könnte es schwierig werden. Ich rufe an der Rezeption an, damit sie dir Bescheid sagen, wenn ich es zur nächsten Stunde nicht schaffe.«
Wir trafen uns seit sechs Monaten zwei Nachmittage die Woche. Zum ersten Mal hatte ich Sugar Ray auf einem Lazarettschiff im Südchinesischen Meer spielen hören. Er war Teil der Bob-Hope-Tour gewesen, die Weihnachten 1969 stattgefunden hatte, um die Verwundeten zu unterhalten. Viele Jahre später, es war übrigens einer meiner letzten Mordfälle bei der Polizei gewesen, stieß ich bei meinen Ermittlungen auf ein gestohlenes Saxophon, in dessen Trichter sein Name graviert war. Ich machte ihn im Splendid Age ausfindig und brachte ihm
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