Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Handschellen anzulegen. Damals in Las Vegas, als er V-Mann war und ich es noch nicht wusste.
»Harry, ich betrachte Sie und mich als alte Bekannte. Wir haben zwar schon eine Weile nicht mehr miteinander gesprochen, aber wir sind gewissermaßen durch dick und dünn gegangen, weshalb ich Ihnen hier eigentlich auf keinen Fall dumm kommen möchte. Trotzdem wird der Ablauf hier so aussehen, dass ich Ihnen die Fragen stellen werde. Ist das okay so?«
»Bis zu einem gewissen Grad.«
»Es geht hier um einen vermissten Agenten. Eine Frau.«
»Und ihr fackelt nicht lange.«
Damit paraphrasierte ich die Warnung Kiz Riders. Lindell schien nicht sonderlich begeistert darüber.
»Darf ich Sie noch was fragen?«, sagte ich, bevor er reagieren konnte. »Woher wusstet ihr hier sofort, dass es um Gessler ging, als ich hier anrief?«
Lindell schüttelte den Kopf.
»So läuft das hier nicht, Harry«, sagte Lindell. »Sie sind derjenige, der Fragen beantwortet. Fangen wir mit dem Grund Ihres Anrufs an. Worum genau geht es Ihnen?«
Ich wartete eine Weile und überlegte, wie ich es am besten angehen sollte. Ich arbeitete für niemanden außer mich selbst und unterlag somit keiner Schweigepflicht. Aber es war mir immer schon gegen den Strich gegangen, mich den imperialistischen Kräften des FBI zu beugen. Das war Teil einer LAPD-Grundeinstellung, die mir in Fleisch und Blut übergegangen war. Daran würde sich auch jetzt nichts ändern. Ich respektierte Lindell – wie er ganz richtig gesagt hatte, hatten wir zusammen einiges durchgemacht, und ich wusste, er würde sich mir gegenüber grundsätzlich fair verhalten. Aber die Behörde, für die er arbeitete, spielte gern mit gezinkten Karten. Ich musste auf der Hut sein. Das durfte ich nicht vergessen.
»Worum es mir geht, habe ich Nunez bereits am Telefon gesagt. Ich stelle lediglich Nachforschungen zu einem Fall an, in dem ich vor ein paar Jahren ermittelt habe und der mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen ist. Ist daran was auszusetzen?«
»Wer ist Ihr Klient?«
»Ich habe keinen. Die Privatlizenz habe ich mir nach meiner Pensionierung nur besorgt, um mir alle Möglichkeiten offen zu halten. Aber mit dieser Geschichte habe ich mich nur aus eigenem Interesse zu beschäftigen begonnen.«
Er glaubte mir nicht. Ich konnte es an seinen Augen sehen.
»Aber dieser Filmgeldraub war doch gar nicht Ihr Fall.«
»Doch, das war er. Zirka vier Tage lang. Dann wurde er mir entzogen. Aber ich erinnere mich noch gut an das Mädchen. Das Opfer. Ich dachte, es würde sich niemand mehr für diese Geschichte interessieren. Deshalb fing ich an, ein bisschen zu bohren.«
»Und wer hat Ihnen gesagt, Sie sollten beim FBI anrufen?«
»Niemand.«
»Das war also einzig und allein Ihre Idee?«
»Nicht ganz. Aber Sie wollten wissen, wer mir gesagt hat, ich sollte hier anrufen. Niemand hat mir gesagt, ich sollte hier anrufen. Das hab ich auf eigene Faust gemacht, Roy. Ich erfuhr, dass Gessler damals einen der für den Fall zuständigen Detectives angerufen hatte. Das war mir völlig neu, und ich bin nicht sicher, ob diesem Hinweis jemals jemand nachgegangen ist. Er könnte durchaus durch die Maschen gegangen sein. Deshalb rief ich hier an, um es nachzuprüfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich allerdings noch keinen Namen. Ich habe mit Nunez telefoniert, und jetzt sitze ich hier.«
»Woher wissen Sie, dass Gessler einen der für den Fall zuständigen Detectives angerufen hat?«
Mir schien die Antwort auf der Hand zu liegen. Außerdem hätte es keine Konsequenzen für Lawton Cross, wenn ich Lindell etwas sagte, was er, Cross, mir ohne Umschweife erzählt hatte und was vermutlich in der offiziellen Ermittlungsakte stand.
»Von dem Anruf Ihrer Agentin erfuhr ich durch Lawton Cross. Er war einer der beiden Detectives, die den Fall von mir übernahmen, als er immer höhere Wellen zu schlagen begann. Er erzählte mir, es sei sein Partner, Jack Dorsey, gewesen, den Ihre Agentin angerufen hatte.«
Lindell schrieb die Namen auf ein Blatt Papier, das er aus dem Ordner gezogen hatte. Ich fuhr fort.
»Sie hatten schon ziemlich lang in dem Fall ermittelt, als Dorsey den Anruf von Gessler bekam. Mehrere Monate. Zu diesem Zeitpunkt befassten sich Cross und Dorsey schon gar nicht mehr ausschließlich mit dieser Geschichte. Und es hörte sich nicht so an, als wären sie sonderlich beeindruckt gewesen von dem, was Gessler zu sagen hatte.«
»Haben Sie darüber auch mit Dorsey gesprochen?«
»Nein, Roy.
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