Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
als kriminologische Analystin. Sie war schon seit einiger Zeit von der Abteilung Bankraub, aus der meine Frau sie gekannt hatte, in eine Cyber-Abteilung versetzt worden. Sie war für Internetermittlungen zuständig und entwickelte Computerprogramme zur Erkennung kriminologischer Muster. Ich nahm an, das Programm, von dem Cross mir erzählt hatte, war etwas, was in Zusammenhang mit dieser dienstlichen Tätigkeit entstanden war.
Am Abend des 19. März 2000 verließ Gessler nach einem langen Arbeitstag die FBI-Zentrale in Westwood. Kollegen erinnerten sich, dass sie mindestens bis 20.30 Uhr im Büro gewesen war. Aber anscheinend schaffte sie es nicht bis zu ihrem Haus in Sherman Oaks. Sie war ledig. Ihr Verschwinden wurde erst am nächsten Tag bemerkt, als sie nicht zum Dienst erschien und weder auf Anrufe noch auf ihren Pieper reagierte. Als ein Kollege losfuhr, um nach ihr zu sehen, stellte er fest, dass sie nicht zu Hause war. Im Haus herrschte zum Teil ziemliche Unordnung, aber wie sich später herausstellte, hatten ihre zwei Hunde, von Hunger und Vernachlässigung geplagt, in der Nacht alles auf den Kopf gestellt. Aus dem betreffenden Bericht ging hervor, dass der Kollege, der diese Entdeckung gemacht hatte, Roy Lindell gewesen war. Ich war mir nicht sicher, ob das etwas zu bedeuten hatte. Möglicherweise war er aufgrund seiner Zugehörigkeit zum OPR beauftragt worden, nach der vermissten Kollegin zu sehen. Trotzdem schrieb ich auf dem Block seinen Namen unter ihren.
Gesslers Privatwagen, ein Ford Taurus, Baujahr 98, befand sich nicht in der näheren Umgebung des Hauses. Er wurde acht Tage später auf einem Langzeitparkplatz am LAX entdeckt. Der Schlüssel lag auf einem der Hinterräder. Die hintere Stoßstange wies eine 45 cm lange Schramme auf, außerdem war ein Rücklicht zerbrochen – Schäden, die laut Aussagen von Bekannten der Agentin neu waren. Wieder war in den Berichten Lindell als einer der Bekannten aufgeführt.
Der Kofferraum des Wagens war leer, und sein Inneres ließ keine direkten Rückschlüsse darauf zu, wo Gessler war oder was passiert war. Von dem Aktenkoffer mit ihrem Laptop, mit dem sie nachweislich das Büro verlassen hatte, fehlte jede Spur.
Eine forensische Untersuchung des ganzen Autos erbrachte keinerlei Hinweise auf irgendwelche ungewöhnlichen Vorgänge. Es wurden keine Unterlagen gefunden, dass Gessler am LAX einen Flug gebucht hatte. Agenten überprüften auch die Passagierlisten der von den Flughäfen Burbank, Long Beach, Ontario und Orange County gestarteten Maschinen, ohne auf einer von ihnen ihren Namen zu finden.
Gessler hatte bekanntermaßen immer eine ATM-Karte, zwei Tankstellen-Kreditkarten sowie eine American Express- und eine Visa-Karte einstecken. Am Abend ihres Verschwindens hatte sie an einer Tankstelle am Sepulveda Boulevard, nicht weit vom Getty Museum, mit ihrer Chevron-Karte Benzin und eine Cola Light bezahlt. Dem Beleg zufolge hatte sie um 20.53 Uhr 56 Liter Super bleifrei getankt. Der Tank ihres Autos fasste maximal 72 Liter.
Dieser Kauf war insofern von Bedeutung, als er Gessler zu einem Zeitpunkt, der zu dem passte, an dem sie die FBI-Zentrale in Westwood verlassen hatte, am Sepulveda Pass platzierte – ihr üblicher Heimweg von Westwood nach Sherman Oaks. Außerdem identifizierte der Nachtkassierer der Chevron-Tankstelle Gessler bei einer Fotogegenüberstellung als eine Stammkundin, die am Abend des 19. März getankt hatte. Gessler war eine attraktive Frau. Er kannte sie und konnte sich an sie erinnern. Er hatte zu ihr gesagt, dass sie es nicht nötig hätte, Cola Light zu trinken, und sie schien sich über das Kompliment gefreut zu haben.
Diese Zeugenaussage war aus mehreren Gründen von Bedeutung. Wenn, erstens, Gessler vorgehabt haben sollte, von Westwood zum LAX zu fahren, wo ihr Wagen später gefunden wurde, war unwahrscheinlich, dass sie zum Tanken nach Norden zum Sepulveda Pass gefahren war. Der Flughafen lag südwestlich von der FBI-Zentrale. Die Tankstelle befand sich genau nördlich davon.
Der zweite wichtige Punkt war, dass Gesslers Chevron-Karte am selben Abend in einer Chevron-Tankstelle am Highway 114 im Norden des County ein zweites Mal benutzt worden war. Es waren 132 Liter Benzin damit bezahlt worden, mehr als der Tank von Gesslers Auto und der meisten anderen Pkw-Modelle fasste. Der Highway 114 war die Hauptverbindung zu den Wüstengebieten im Nordosten des County. Auf dieser Strecke waren auch viele Lkws unterwegs.
Und dazu kam
Weitere Kostenlose Bücher