Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
fortgeschritten waren. Danach habe ich alles darangesetzt, den Fall nicht entzogen zu bekommen. Nicht, dass es viel genützt hat. Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen, und ich habe noch immer keine Ahnung, was ihr zugestoßen ist. Dann rufen plötzlich Sie an und erzählen mir etwas, was total neu für mich war.«
»Dann haben Sie mir also nichts vorgemacht. Es gibt tatsächlich nichts Schriftliches, dass sie mit Dorsey über die Nummern der Scheine gesprochen hat?«
»Jedenfalls haben wir nichts gefunden. Aber sie hatte eine Menge Zeug in ihrem Computer gespeichert, und das ist jetzt alles weg, Mann. Da müssen Sachen drauf gewesen sein, die sie nicht im Bürocomputer gespeichert hatte. Wissen Sie, eigentlich soll man alles speichern, bevor man am Abend nach Hause geht, aber das macht kein Mensch. Dafür hat niemand Zeit.«
Ich nickte und dachte nach. Ich bekam eine Menge Informationen, hatte aber wenig Zeit, sie zu verarbeiten. Ich überlegte, was ich Lindell sonst noch fragen sollte, solange ich mit ihm zusammen war.
»Eines kapiere ich immer noch nicht«, sagte ich schließlich. »Warum haben Sie sich vorhin in diesem Verhörzimmer so verhalten und jetzt plötzlich so? Warum reden Sie mit mir, Roy? Warum lassen Sie mich die Akte sehen?«
»REACT ist eine MAM-Truppe, Bosch. Mit Allen Mitteln. Diese Typen kennen keine Regeln. Die Regeln sind am elften September zweitausendeins aus dem Fenster geflogen. Die Welt hat sich verändert, und mit ihr das FBI. Das Land hat alle viere von sich gestreckt und es einfach über sich ergehen lassen. Es hat den Krieg in Afghanistan verfolgt, während sie hier alle Regeln geändert haben. Das Einzige, was inzwischen noch zählt, ist die nationale Sicherheit, und alles andere kann sehen, wo es bleibt. Einschließlich Marty Gessler. Glauben Sie etwa, im neunten Stock hätten sie diesen Fall übernommen, weil ein Agent vermisst wird? Es gibt nichts, was diese Typen weniger interessieren könnte. Nein, da geht es um irgendetwas anderes, und für die spielt es absolut keine Rolle, ob sie nun herausfinden, was aus ihr geworden ist, oder nicht. Für die zumindest. Für mich sieht die Sache allerdings etwas anders aus.«
Lindell schaute beim Sprechen geradeaus nach vorn. Langsam begann ich zu verstehen, wie die Sache lief. Er hatte vom FBI Anweisung erhalten, die Finger von der Sache zu lassen. Ihn konnten sie zurückpfeifen, aber ich war ein unabhängiger Ermittler. Wenn und solange es ihm möglich war, würde mir Lindell helfen.
»Sie haben also keine Ahnung, welches Interesse sie an dem Fall haben.«
»Nicht die leiseste.«
»Aber Sie möchten, dass ich weitermache.«
»Wenn Sie das noch mal sagen, werde ich es abstreiten. Aber meine Antwort ist ja. Ich will Ihr allererster Klient sein, Podjo.«
Ich legte den Gang ein und ordnete mich in den Verkehr ein. Ich fuhr nach Westwood zurück.
»Zahlen kann ich Ihnen natürlich nichts«, sagte Lindell. »Und wahrscheinlich kann ich mich ab heute auch nicht mehr mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Wissen Sie was? Sie hören auf, mich Podjo zu nennen, und wir sind quitt.«
Lindell nickte, so, als hätte ich das ernst gemeint und als wäre er mit dieser Abmachung einverstanden. Keiner von uns sagte mehr etwas, als ich die California Incline zum Küstenhighway hinunter fuhr und dann weiter zum Santa Monica Canyon und wieder den San Vicente Boulevard hoch.
»Und was halten Sie von dem, was Sie vorhin dort oben gelesen haben?«, fragte Lindell schließlich.
»So wie es aussieht, haben Sie alles genau richtig gemacht. Was ist mit dem Typ von der Tankstelle, der sie an besagtem Abend gesehen hat? Kommt er sicher nicht in Frage?«
»Nein. Bis Sonntag hatten wir ihn bis auf die Unterhose durchleuchtet. Er kann nichts damit zu tun haben. An der Tankstelle herrschte ziemlich Betrieb, und er hatte bis Mitternacht Dienst. Wir haben ihn auf dem Überwachungsvideo. Und er hat seinen Platz an der Kasse kein einziges Mal verlassen, nachdem sie gezahlt hatte und weggefahren war. Und für die Zeit nach Mitternacht hatte er ebenfalls ein Alibi.«
»Sonst irgendwas auf dem Video? In der Akte habe ich jedenfalls nichts darüber gesehen.«
»Nein, mit dem Video war nichts anzufangen – mal abgesehen davon, dass sie darauf zu sehen ist und dass es das letzte Mal war, dass sie gesehen wurde.«
Er schaute aus dem Fenster. Es lag jetzt drei Jahre zurück, und Lindell hing immer noch sehr an ihr. Das durfte ich nicht vergessen. Ich musste
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