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Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Titel: Harry Bosch 09 - Letzte Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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und sah eine zehn Zentimeter lange Schramme in der Beifahrertür des VW-Bus. Lindells Tür war noch auf und berührte sie, quasi in flagranti.
    »Komm mir bloß nicht dumm«, sagte der erste. »Oder sollen wir dir eine Beule verpassen?«
    Lindell langte an seinen Rücken, und seine Hand kam in einer raschen Bewegung mit einer Pistole unter seinem Sakko hervor. Mit seiner freien Hand packte er den ersten der zwei Rabauken am Hemdlatz, bekam dabei auch noch eine Hand voll Bart zu fassen und zog ihn zu sich heran. Die Pistole kam hoch, und ihr Lauf presste sich gegen die Kehle des größeren Mannes.
    »Wie wär's, wenn du mit David Crosby wieder in diese Scheißkiste steigst und schleunigst abflowerpowerst?«
    »Roy«, sagte ich. »Immer mit der Ruhe.«
    In diesem Moment erreichte uns aus dem Bus der Geruch von Marihuana. Es trat ein langer Moment der Stille ein, als Lindell und der erste Hippie sich gegenseitig niederzustarren versuchten. Sein Kumpel stand daneben und beobachtete die Szene, konnte aber wegen der Pistole nichts tun.
    »Okay, Mann«, sagte der erste endlich. »Alles klar. Wir verdrücken uns einfach.«
    Lindell schob ihn beiseite und ließ die Pistole sinken.
    »So ist es brav, Kleiner, verdrück dich. Rauch deine Friedenspfeife woanders.«
    Wir beobachteten schweigend, wie sie zum Bus zurückgingen. Um auf der Beifahrerseite einsteigen zu können, knallte der zweite Mann wütend Lindells Tür zu. Der Motor sprang an, und der VW-Bus stieß zurück und fuhr auf den Mulholland Drive. Sowohl Fahrer als auch Beifahrer zeigten uns den obligatorischen Abschiedsgruß, und dann waren sie weg. Ich dachte daran, wie ich im Bunker vor wenigen Stunden die Kamera auf die gleiche Weise gegrüßt hatte. Ich wusste, wie machtlos sich die zwei Männer in dem Bus fühlten.
    Lindell wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu.
    »Das war wirklich stark, Roy«, sagte ich zu ihm. »Bei so einem Auftritt wundert es mich echt, dass Sie noch nicht in den neunten Stock versetzt worden sind.«
    »Bleiben Sie mir bloß mit diesen Typen vom Hals.«
    »Ja, genau so ging's mir vor ein paar Stunden auch noch.«
    »Also, Harry, wie soll es jetzt weitergehen?«
    Noch wenige Augenblicke zuvor hatte er bei einem beinahe gewalttätigen Aufeinanderprallen hoher Testosteronwerte zwei Fremde mit einer Waffe bedroht, und schon war die ganze Aufregung wieder verflogen. An der Oberfläche herrschte vollkommene Ruhe. Der Vorfall war bereits wieder von seinem Radarschirm verschwunden. Das war ein Wesensmerkmal, das ich bis dahin am häufigsten an Psychopathen beobachtet hatte. Ich wollte mal nicht das Schlechteste von Lindell annehmen, weshalb ich es als Ausdruck einer ganz speziellen Art von Arroganz abhakte, die mir schon des Öfteren als angeborener Charakterzug von FBI-Agenten aufgefallen war.
    »Bleiben Sie oder laufen Sie davon?«, fragte er.
    Das machte mich wütend, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Ich grinste.
    »Keins von beidem«, sagte ich. »Ich gehe.«
    Damit drehte ich mich um und ließ ihn einfach stehen. Ich ging auf dem Mulholland Drive in Richtung Woodrow Wilson und meinem Haus los. Er beballerte meinen Rücken mit einer Salve wüster Beschimpfungen, aber das konnte mich nicht aufhalten.

21
    Das Tor von Lawton Cross' Garage war offen, und es sah so aus, als hätte es die ganze Nacht offen gestanden. Ich ließ mich von dem Taxi neben meinem Mercedes absetzen. Es sah nicht so aus, als sei mein Wagen von der Stelle bewegt worden, obwohl ich davon ausging, dass er durchsucht worden war. Ich hatte ihn nicht abgeschlossen, und er war auch immer noch nicht abgeschlossen. Ich legte die kleine Reisetasche, die ich mitgebracht hatte, auf den Rücksitz. Dann setzte ich mich hinters Steuer, startete den Motor und fuhr den Wagen in die Garage.
    Ich stieg aus, ging zu der Tür, die ins Haus führte, und drückte auf einen Knopf, mit dem man entweder eine Klingel betätigen oder das Garagentor schließen würde. Der Knopf schloss das Tor. Ich ging zum Malibu, schob die Hände unter die Kühlerhaube und tastete nach der Entriegelung. Die Stahlfedern gähnten laut, als ich die Haube anhob. Ich blickte auf einen staubigen, aber sauberen Motor hinab. Luftfiltergehäuse und Ventilator waren aus Chrom, der Motorblock rot lackiert. Offensichtlich hatte Lawton das Auto liebevoll gepflegt und seine innere Schönheit nicht weniger zu schätzen gewusst als seine äußere.
    Die Dokumente aus der Ermittlungsakte, die ich am Abend zuvor

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