Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
des Mörders geblickt hatte, den ich suchte, und ob es mein einziger Blick bliebe und ich nicht näher an ihn herankäme. Mir war klar, solange er hier drinnen war, käme ich nie an ihn heran, im wörtlichen wie im juristischen Sinn. Er war für mich unerreichbar. Er war bei den Verschwundenen. Da ginge gar nichts.
Wir gingen durch zwei elektronische Türen, und dann wurde ich vor einem Aufzug abgestellt. Es gab keine Knöpfe, die ich hätte drücken können. Parenting Today sah zu einer Kamera oben in der Ecke hoch und machte mit erhobenem Finger eine kreisende Bewegung. Ich hörte, wie der Lift angefahren kam.
Als die Tür aufging, führte er mich in die Kabine. Wir fuhren in den Keller, gingen aber nicht zu einem Auto. Er rief einem Mann in der Garage zu, er solle das Tor öffnen, und führte mich die Rampe hinauf. Als das Tor hochging, wurde ich von Sonnenlicht getroffen und musste die Augen zusammenkneifen.
»Wie ich sehe, wollen Sie mich also nicht zu meinem Auto zurückbringen.«
»Das können Sie sehen, wie Sie wollen. Guten Tag.«
Damit ließ er mich oben an der Rampe stehen und drehte sich um, um unter dem Tor durchzukommen, bevor es wieder zuging. Ich beobachtete, wie er hinter dem sinkenden Stahlvorhang verschwand. Ich überlegte mir eine schlaue Bemerkung, die ich ihm hinterherwerfen könnte, aber ich war schlicht und einfach zu müde und ließ es bleiben.
20
Das FBI war bei mir zu Hause gewesen. Das war zu erwarten gewesen. Aber sie hatten Rücksicht gezeigt. Sie hatten nicht alles auf den Kopf gestellt, damit ich alles wieder aufräumen konnte. Sie hatten das Haus systematisch durchsucht und größtenteils genau so hinterlassen, wie sie es angetroffen hatten. Der Esszimmertisch, auf dem ich die Dokumente zum Mordfall Angella Benton ausgebreitet hatte, war leer. Er sah aus, als hätten sie die Tischplatte mit Pledge poliert, als sie fertig waren. Sie hatten alles mitgenommen. Meine Notizen, meine Akten, meine Berichte, alles war weg und der Fall offensichtlich ebenfalls. Ich fing erst gar nicht an, mich darüber aufzuregen. Ich blickte kurz auf mein unscharfes Spiegelbild in der polierten Tischplatte und beschloss, lieber erst zu schlafen, bevor ich mir über meinen nächsten Schritt Gedanken machte.
Ich nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging durch die Schiebetür auf die Terrasse, um mir anzusehen, wie die Sonne hinter den Hügeln hochkam. Auf dem Polster der Liege war Tau, weshalb ich es umdrehte, bevor ich mich darauf setzte. Ich nahm die Beine hoch und ließ mich auf die weiche Unterlage zurücksinken. Es war noch ein wenig kühl, aber ich hatte mein Sakko an. Ich stellte die Wasserflasche auf die Armlehne und schob die Hände in die Jackentaschen. Es war ein gutes Gefühl, nach der Nacht im Bunker wieder zu Hause zu sein.
Die Sonne kam gerade über die Hügel auf der anderen Seite des Cahuenga Pass. Der Himmel war voll von entschärftem Licht, als sich die Sonnenstrahlen in den Milliarden mikroskopisch kleiner Teilchen brachen, die in der Luft schwebten. Bald brauchte ich eine Sonnenbrille, aber ich hatte es mir schon zu bequem gemacht, um noch einmal aufzustehen und sie zu holen. Stattdessen schloss ich die Augen und war bald eingeschlafen. Ich träumte von Angella Benton, von ihren Händen, von einer Frau, der ich zu ihren Lebzeiten nie begegnet war, die aber in meinen Träumen zum Leben erwachte und die Hände nach mir ausstreckte.
Als ich ein paar Stunden später aufwachte, brannte die Sonne durch meine Lider. Rasch merkte ich, dass das Klopfen, von dem ich gedacht hatte, es sei in meinem Kopf, in Wirklichkeit von der Haustür kam. Ich stand auf und stieß dabei die ungeöffnete Wasserflasche von der Armlehne der Liege. Ich versuchte sie aufzufangen, erwischte sie aber nicht mehr. Sie rollte vom Sonnendeck und fiel in das Gebüsch darunter. Ich beugte mich über das Geländer und schaute nach unten. Ich konnte sie nirgendwo sehen.
Von der Haustür kam wieder ein Klopfen, und dann hörte ich jemanden gedämpft meinen Namen rufen. Ich ging vom Sonnendeck ins Haus und durchs Wohnzimmer in die Diele. Mein Besuch hämmerte gerade wieder gegen die Tür, als ich sie endlich öffnete. Es war Roy Lindell, und er lächelte nicht.
»Raus aus den Federn, Bosch.«
Er wollte mich ins Haus schieben, aber ich legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn kopfschüttelnd zurück. Er schaltete sofort. Mit einem fragenden Ausdruck in den Augen deutete er ins Haus. Ich nickte und ging
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