Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
die Öffnung und winkte. Außerdem blendete sie mehrmals kurz hintereinander auf. Es war Eleanor. Ich winkte und trabte auf den Wagen zu. Ich öffnete die Tür, warf meine Reisetasche auf den Rücksitz und stieg ein.
»Hi«, sagte ich. »Danke.«
Nach kurzem Zögern beugten wir uns beide in die Mitte und küssten uns. Es war kurz, aber gut. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen und stellte plötzlich schockiert fest, wie schnell die Zeit zwischen zwei Menschen verstreichen konnte. Obwohl wir jedes Jahr an unseren Geburtstagen und an Weihnachten miteinander telefoniert hatten, war es fast drei Jahre her, dass ich sie tatsächlich gesehen und berührt hatte, mit ihr zusammen gewesen war. Und sofort war es gleichzeitig berauschend und deprimierend. Denn ich müsste sofort wieder weg. Das Treffen würde kürzer als jeder dieser Geburtstagsanrufe, die wir jedes Jahr machten.
»Du hast eine neue Frisur«, sagte ich. »Steht dir gut.«
So kurz hatte ich ihre Haare noch nie gesehen, exakt auf Höhe der Mitte ihres Nackens abgeschnitten. Aber es war kein unaufrichtiges Kompliment. Sie sah wirklich gut aus. Andererseits hätte sie für mich mit Haaren bis zu den Knöcheln oder noch kürzeren als meinen gut ausgesehen.
Sie wandte sich von mir ab, um über ihre linke Schulter nach von hinten kommendem Verkehr Ausschau zu halten. Ich konnte ihren Nacken sehen. Sie scherte aus, und wir fuhren los. Sie hob die Hand und drückte mit dem Finger auf den Knopf zum Schließen des Schiebedachs.
»Danke, Harry. Du siehst zwar nicht groß anders aus. Aber du siehst immer noch gut aus.«
Ich dankte ihr und versuchte, nicht zu stark zu grinsen, als ich meine Brieftasche herausholte.
»Und«, sagte sie, »was ist nun das große Geheimnis, von dem du mir am Telefon nichts erzählen konntest?«
»Da gibt es kein großes Geheimnis. Ich möchte lediglich, dass ein paar Leute denken, ich wäre in Las Vegas.«
»Du bist in Las Vegas.«
»Aber nicht lange. Sobald ich den Leihwagen abgeholt habe, fahre ich zurück.«
Eleanor nickte, als verstehe sie. Ich zog die Bankomat- und die American-Express-Karte aus meiner Brieftasche. Die Visa-Karte behielt ich für den Leihwagen und was sonst noch an Kosten anfallen würden.
»Könntest du bitte diese Karten nehmen und im Lauf der nächsten Tage benutzen. Die Geheimzahl der Bankomat-Karte ist dreizehn-null-sechs. Müsstest du dir an sich leicht merken können.«
Es war unser Hochzeitstag.
»Komisch«, sagte sie. »Wusstest du, dass er dieses Jahr auf einen Freitag fällt? Ich habe nachgesehen. Das soll Pech bringen, Harry.«
Irgendwie schien Freitag, der dreizehnte, passend. Kurz fragte ich mich, was es bedeutete, dass sie nachsah, auf welchen Wochentag künftige Jahrestage einer gescheiterten Ehe fielen. Ich ging dieser Frage nicht weiter nach und kehrte in die Gegenwart zurück.
»Benutze sie in den nächsten paar Tagen einfach ein paar Mal. Du weißt schon, geh mal essen oder sonst etwas in der Art. Wenn ich hier bliebe, würde ich dir wahrscheinlich ein Geschenk kaufen, weil ich bei dir übernachten darf. Zieh dir also etwas Bargeld und kauf dir was Schönes. Auf der American Express steht noch mein vollständiger Name. Damit dürftest du also keine Probleme kriegen.«
Die meisten Leute wissen nicht, welches Geschlecht mein Vorname Hieronymus hat. Als wir noch verheiratet waren, hatte Eleanor regelmäßig meine Kreditkarten benutzt, ohne deswegen Probleme zu bekommen. Jetzt hätte sie lediglich dann Schwierigkeiten bekommen können, wenn sie bei einem Kauf den Ausweis vorlegen musste. In Restaurants ist das jedoch selten der Fall und schon gar nicht in Las Vegas, wo man erst das Geld nimmt und später Fragen stellt.
Ich hielt ihr die Karten hin, aber sie nahm sie nicht.
»Harry, was soll das? Was ist eigentlich los mit dir?«
»Das habe ich dir doch eben erklärt. Ich möchte, dass ein paar Leute denken, ich wäre hier in Las Vegas.«
»Und das sind Leute, die nachprüfen können, wenn du mit Kreditkarte bezahlst und etwas vom Geldautomaten abhebst?«
»Wenn sie möchten, ja. Ich weiß nicht, ob sie es tatsächlich tun werden. Das ist eine reine Vorsichts…«
»Dann meinst du also die Polizei oder das FBI. Wer von beiden ist es?«
Ich lachte leise.
»Es könnten beide sein. Aber wenn mich nicht alles täuscht, ist das FBI am meisten an der Sache interessiert.«
»Oh, Harry …«
Sie sagte es mit einem Geht-das-schon-wieder-los-Ton in der Stimme. Ich überlegte, ob ich ihr
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