Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
ich das zu entscheiden gehabt hätte.«
»Dann hätten Sie sich aber gewaltig geschnitten.«
Milton beugte sich vor und legte beide Hände auf den Schreibtisch und sah mich direkt an.
»Sie haben schon lange nichts mehr zu melden, Bosch. Sie sind weg vom Fenster. Und trotzdem kommen Sie hier an und greifen nach Strohhalmen und pfuschen Leuten ins Handwerk, die alles dafür tun, dass unser Land in eine sichere Zukunft blicken kann.«
Das beeindruckte mich herzlich wenig, und ich hoffte, es war mir anzusehen. Ich lehnte mich zurück und blickte zu ihm hoch.
»Was regen Sie sich eigentlich so auf, Mann? Wie ich die Sache sehe, haben Sie doch nicht das Geringste zu befürchten. Sie haben einen Boss, der offensichtlich mehr daran interessiert ist, alles unter den Teppich zu kehren, als mal richtig reinen Tisch zu machen. Sie kommen ungeschoren davon, Milton. Er ist, glaube ich, nur sauer, dass Sie sich haben erwischen lassen, nicht wegen dem, was Sie getan haben.«
Milton deutete mit dem Finger auf mich.
»Sparen Sie sich dieses Gesülze. Echt. Der Tag, an dem ich von Ihnen Tipps für meine Karriere will, ist der Tag, an dem sie mich in Camarillo einliefern können.«
»Meinetwegen. Aber was wollen Sie nun eigentlich?«
»Sie warnen. Nehmen Sie sich vor mir in Acht, Bosch. Denn Sie kriegen es noch mit mir zu tun.«
»Dann werden wir ja sehen.«
Er drehte sich um und ging hinaus. Die Tür ließ er offen. Kurz darauf kam Peoples zurück.
»Fertig?«
»Schon eine ganze Weile.«
»Wo ist die Akte, die ich Ihnen gegeben habe?«
»Wieder in der Schublade.«
Er beugte sich über den Schreibtisch und zog die Schublade heraus. Um sich zu vergewissern, dass ich keine krummen Touren versuchte, öffnete er sogar den Ordner.
»Okay, dann gehen wir. Nehmen Sie Ihre Schachtel mit.«
Ich folgte ihm durch zwei Sicherheitstüren und fand mich ein zweites Mal in dem Flur mit den Zellen wieder. Doch bevor wir die Türen mit den verspiegelten Fenstern erreichten, öffnete Peoples mit seiner Chipkarte eine Tür und schob mich in ein Verhörzimmer. Dort befanden sich ein Tisch und zwei Stühle. Auf einem von ihnen saß Mousouwa Aziz. In der Ecke links von der Tür lehnte ein Agent, den ich bis dahin nicht gesehen hatte. Peoples stellte sich in die andere Ecke.
»Setzen Sie sich«, sagte er. »Sie haben fünfzehn Minuten Zeit.«
Ich stellte die Schachtel auf den Boden, zog den freien Stuhl heraus und setzte mich gegenüber Aziz an den Tisch. Er sah abgemagert und dünn aus. Unter den blond gefärbten Haaren war ein Streifen Schwarz nachgewachsen. Seine halb geschlossenen Augen waren blutunterlaufen, und ich fragte mich, ob sie in seiner Zelle jemals das Licht löschten. In seiner Welt hatte sich einiges geändert. Zwei Jahre zuvor hatten seine Ankunft und Identifizierung am LAX lediglich eine wenige Stunden dauernde Festsetzung nach sich gezogen, in deren Verlauf ihn ein Agent zu vernehmen versucht hatte. Aber inzwischen hatte ihm eine Kontrolle bei einem Grenzübertritt eine unbefristete Inhaftierung im FBI-Allerheiligsten eingetragen.
Viel erhoffte ich mir von Aziz' Vernehmung nicht, aber ich glaubte, erst nach einer direkten Gegenüberstellung mit ihm entscheiden zu können, ob ich ihn weiter als Verdächtigen behandeln sollte oder nicht. Seit ich die Berichte in der FBI-Akte gesehen hatte, neigte ich zu Letzterem. Alles, was den mickrigen Möchtegern-Terroristen bisher mit Angella Benton in Verbindung brachte, war das Geld. Zu dem Zeitpunkt, als er an der Grenze festgenommen worden war, hatte sich einer der Hundertdollarscheine aus dem Filmgeldraub in seinem Besitz befunden. Dafür gab es vermutlich viele Erklärungsmöglichkeiten, und ich gelangte zu der Überzeugung, dass eine Beteiligung Aziz' an dem Mord und dem Raubüberfall nicht dazugehörte.
Ich nahm meine Akte über Angella Benton aus der Schachtel und öffnete sie in meinem Schoß, wo Aziz sie nicht sehen konnte. Ich nahm das Foto von Angella heraus, das ihre Familie der Polizei zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein Studioporträt, das zum Zeitpunkt ihres Studienabschlusses an der Ohio State University aufgenommen worden war, keine zwei Jahre vor ihrem Tod. Ich sah zu Aziz auf.
»Mein Name ist Harry Bosch. Ich stelle Ermittlungen zum Tod Angella Bentons vor vier Jahren an. Kommt Ihnen die Frau bekannt vor?«
Ich schob das Foto über den Tisch und beobachtete sein Gesicht und seine Augen auf eine Reaktion hin. Sein Blick glitt über das Foto, aber ich
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