Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
bemerkte keine Veränderung in seinem Gesichtsausdruck. Er sagte nichts.
»Kannten Sie sie?«
Er antwortete nicht.
»Sie arbeitete für eine Filmgesellschaft, die beraubt wurde. Ein Teil des Geldes gelangte in Ihren Besitz. Wie?«
Nichts.
»Woher stammte das Geld?«
Er sah von dem Foto zu mir auf. Er sagte nichts.
»Haben Ihnen diese Männer gesagt, Sie sollen nicht mit mir sprechen?«
Nichts.
»Haben Sie das? Wenn Sie diese Frau nicht kennen, dann sagen Sie es mir.«
Aziz senkte seinen traurigen Blick wieder auf den Tisch. Er schien wieder auf das Foto zu schauen, aber ich konnte erkennen, dass dem nicht so war. Er blickte auf etwas weit Entferntes. Ich wusste, es hatte keinen Sinn. Wahrscheinlich hatte ich das schon gewusst, bevor ich mich gesetzt hatte.
Ich stand auf und wandte mich Peoples zu.
»Den Rest der fünfzehn Minuten können Sie behalten.«
Er stieß sich von der Wand ab und sah zu einer Kamera an der Decke hoch. Er machte mit einem Finger die kleine Kreiselbewegung, und das elektronische Türschloss schnappte auf. Ohne lange zu überlegen, ging ich zur Tür und drückte sie auf. Fast im selben Moment hörte ich hinter mir einen wilden Schrei. Aziz war aufgesprungen und über den Tisch gehechtet. Er landete mit seinem ganzen Gewicht – maximal 60 Kilo – auf meinen Schultern, und ich stolperte durch die Tür auf den Korridor hinaus.
Aziz war immer noch auf mir, und als ich zu Boden ging, spürte ich, wie seine Arme und Beine, wild um sich schlagend, Halt suchten. Dann sprang er von mir hoch und stürmte den Korridor hinunter. Peoples und der andere Agent nahmen sofort die Verfolgung auf. Ich richtete mich auf und sah, wie sie Aziz an einer Stelle, wo er nicht mehr weiter konnte, einholten. Während sich Peoples zurückhielt, ging der andere Agent zur Sache und rang den kleineren Mann unsanft zu Boden.
Sobald Aziz außer Gefecht gesetzt war, drehte sich Peoples um und kam zu mir zurück.
»Alles in Ordnung, Bosch?«
»Ja, nichts passiert.«
Ich stand auf und klopfte mir etwas übertrieben die Kleider ab. Es war mir peinlich. Ich war von Aziz überrumpelt worden, und mir war klar, dass das im Bereitschaftsraum am anderen Ende des Korridors für einiges Gerede sorgen würde.
»Darauf war ich nicht gefasst. Wahrscheinlich beginnt man einfach zu rosten, wenn man nicht mehr dabei ist.«
»Ja. Man darf ihnen nie den Rücken zukehren.«
»Meine Schachtel. Ich habe sie vergessen.«
Ich ging in das Verhörzimmer zurück und nahm das Foto und die Schachtel vom Tisch. Als ich wieder nach draußen ging, wurde Aziz gerade vorbeigeführt. Der Agent hatte ihm auf dem Rücken Handschellen angelegt.
Ich ließ die beiden vorbeigehen, dann folgten Peoples und ich in entsprechendem Sicherheitsabstand.
»Und was ist dabei herausgekommen?«, sagte Peoples. »Nichts.«
»Wahrscheinlich.«
»Und das hätte sich alles vermeiden lassen, wenn …«
Da er nicht zu Ende sprach, tat ich es.
»Ihr Agent nicht vor laufender Kamera diese Straftaten begangen hätte. Ganz richtig.«
Peoples blieb auf dem Flur stehen, und ich tat es auch. Er wartete, bis der andere Agent und Aziz durch die Tür gegangen waren.
»Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl bei unserer Regelung«, sagte er. »Ich habe keinerlei Sicherheiten. Was ist zum Beispiel, wenn Sie hier rausgehen und von einem Lkw überfahren werden. Hieße das, die Aufnahmen kommen in den Nachrichten?«
Ich dachte kurz nach, dann nickte ich.
»Ja, das hieße es. Deshalb hoffen Sie mal lieber, dass ich nicht unter einen Lkw gerate.«
»Mit so einer Hypothek möchte ich nicht leben und arbeiten.«
»Das kann ich Ihnen nicht verdenken. Was wollen Sie wegen Milton unternehmen?«
»Was ich Ihnen gesagt habe. Er fliegt. Er weiß es nur noch nicht.«
»Na schön, dann sagen Sie mir Bescheid, sobald er geflogen ist. Dann können wir noch mal über diese Hypothek reden.«
Es sah so aus, als wolle er noch etwas sagen, aber dann überlegte er es sich anders und ging wieder los. Er brachte mich durch die Sicherheitstür zum Lift. Er benutzte die Chipkarte, um ihn nach oben zu holen und dann auf den Knopf fürs Erdgeschoss zu drücken. Er hielt die Hand über das elektronische Auge der Tür.
»Ich komme nicht mit nach unten«, sagte er. »Ich glaube, zwischen uns ist alles gesagt.«
Ich nickte, und er trat rückwärts aus der Kabine. Dann blieb er stehen und wartete – vielleicht, um sicherzugehen, dass ich mich nicht aus dem Lift stahl und versuchte, die
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