Harry Potter - Gesamtausgabe
steckte sie in seinen Umhang. Dann riss er das Foto entzwei, das er ebenfalls in der Hand hielt, behielt den Teil, aus dem Lily herauslachte, und warf den Fetzen, der James und Harry zeigte, wieder auf den Boden, unter die Kommode …
Und nun stand Snape erneut im Büro des Schulleiters, als Phineas Nigellus in sein Porträt geeilt kam.
»Schulleiter! Sie kampieren im Forest of Dean! Dieses Schlammblut –«
»Benutzen Sie dieses Wort nicht!«
»– dieses Granger-Mädchen, also, sie hat den Ort erwähnt, als sie ihre Tasche öffnete, und ich habe sie gehört!«
»Gut. Sehr gut!«, rief das Porträt von Dumbledore hinter dem Stuhl des Schulleiters. »Nun, Severus, das Schwert! Vergessen Sie nicht, dass es nur in Not und mit Heldenmut genommen werden darf – und er darf nicht wissen, dass es von Ihnen kommt! Wenn Voldemort in Harrys Gedanken eintauchen sollte und sieht, dass Sie für ihn handeln –«
»Ich weiß«, sagte Snape knapp. Er näherte sich dem Porträt von Dumbledore und zog seitlich daran. Es schwang vor und offenbarte einen verborgenen Hohlraum, aus dem er das Schwert von Gryffindor herausnahm.
»Und Sie wollen mir immer noch nicht sagen, warum es so wichtig ist, Potter das Schwert zu geben?«, fragte Snape, als er einen Reisemantel über seinen Umhang schwang.
»Nein, ich denke nicht«, sagte Dumbledores Porträt. »Er wird wissen, was er damit tun soll. Und, Severus, seien Sie sehr vorsichtig, nach George Weasleys Unglück werden die sich womöglich nicht besonders über Ihr Erscheinen freuen –«
Snape wandte sich an der Tür um.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Dumbledore«, sagte er kühl. »Ich habe einen Plan …«
Und Snape verließ den Raum. Harry stieg aus dem Denkarium empor und Sekunden später lag er in genau demselben Raum auf dem Teppichboden: Es war, als hätte Snape gerade die Tür hinter sich geschlossen.
Wieder der Wald
Endlich die Wahrheit. Auf dem Boden liegend, das Gesicht in den staubigen Teppich des Büros gepresst, in dem er einst geglaubt hatte, jene Geheimnisse zu erfahren, die ihm zum Sieg verhelfen würden, begriff Harry endlich, dass er nicht überleben sollte. Seine Aufgabe war es, ruhig dem Tod entgegenzugehen, der ihn mit ausgebreiteten Armen erwartete. Auf dem Weg dorthin sollte er die Bindungen kappen, die Voldemort noch zum Leben hatte, damit es, wenn er sich Voldemort schließlich vor die Füße warf und seinen Zauberstab nicht hob, um sich zu verteidigen, ein sauberes Ende sein würde, damit das, was in Godric’s Hollow hätte getan werden müssen, erledigt wäre: Keiner von beiden würde leben, keiner konnte überleben.
Er spürte sein Herz wütend in seiner Brust pochen. Wie seltsam, dass es in seiner Todesangst umso heftiger pumpte, ihn tapfer am Leben hielt. Aber es würde stillstehen müssen, und zwar bald. Seine Schläge waren gezählt. Für wie viele würde noch Zeit sein, wenn er sich erhob und zum letzten Mal durch das Schloss ging, hinaus auf das Gelände und in den Wald?
Grauen überflutete ihn, während er am Boden lag und jene Totentrommel in ihm schlug. Würde es wehtun, zu sterben? All die Male, da er geglaubt hatte, dass es gleich geschehen würde, und doch entkommen war, hatte er nie wirklich an die Sache selbst gedacht: Sein Lebenswille war immer so viel stärker gewesen als seine Furcht vor dem Tod. Doch kam er jetzt nicht auf den Gedanken, er könnte versuchen zu fliehen, Voldemort davonzulaufen. Es war zu Ende, er wusste es, und alles, was blieb, war die Sache selbst: sterben.
Hätte er nur in jener Sommernacht sterben können, in der er den Ligusterweg Nummer vier zum letzten Mal verlassen hatte und von dem edlen Phönixfeder-Zauberstab gerettet worden war! Hätte er doch nur wie Hedwig sterben können, so rasch, dass er gar nicht mitbekommen hätte, dass es passiert war! Oder hätte er sich vor einen Zauberstab stürzen können, um jemanden zu retten, den er liebte … Er beneidete nun sogar seine Eltern um ihren Tod. Dieser kaltblütige Gang zu seiner eigenen Vernichtung würde eine andere Art von Tapferkeit erfordern. Er spürte, dass seine Finger leicht zitterten, und bemühte sich, sie unter Kontrolle zu bringen, obwohl ihn niemand sehen konnte; die Porträts an den Wänden waren alle leer.
Langsam, ganz langsam, setzte er sich auf, und dabei fühlte er sich lebendiger, sich seines eigenen lebenden Körpers bewusster als je zuvor. Warum hatte er nie zu schätzen gewusst, was für ein Wunder er war, sein Gehirn, seine
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