Harry Potter - Gesamtausgabe
Nerven, sein hüpfendes Herz? All das würde nicht mehr sein … oder zumindest würde er nicht mehr darin sein. Sein Atem ging langsam und tief, sein Mund und seine Kehle waren völlig ausgetrocknet, aber auch seine Augen.
Dumbledores Verrat zählte kaum. Natürlich hatte es einen größeren Plan gegeben; Harry war einfach zu dumm gewesen, ihn zu begreifen, wie ihm jetzt aufging. Er hatte nie seine eigene Annahme in Frage gestellt, dass Dumbledore wollte, dass er lebte. Nun sah er, dass seine Lebenszeit immer dadurch bestimmt gewesen war, wie lange es dauerte, alle Horkruxe zu beseitigen. Dumbledore hatte ihm die Aufgabe übertragen, sie zu zerstören, und gehorsam hatte er stets weiter auf jene Bande eingehauen, die nicht nur Voldemort, sondern auch ihn selbst am Leben hielten! Wie geschickt, wie elegant, keine Leben mehr zu vergeuden, sondern die gefährliche Aufgabe dem Jungen zu überlassen, der bereits zum Abschlachten gezeichnet war und dessen Tod keine Katastrophe sein würde, sondern ein weiterer Schlag gegen Voldemort.
Und Dumbledore hatte gewusst, dass Harry sich nicht drücken würde, dass er bis zum Ende weitergehen würde, auch wenn es sein Ende war, denn er hatte sich Mühe gegeben, ihn kennen zu lernen, oder etwa nicht? Dumbledore wusste, genau wie Voldemort, dass Harry niemand anderen mehr für sich sterben lassen würde, nun, da er entdeckt hatte, dass es in seiner Macht stand, es zu beenden. Die Bilder von Fred, Lupin und Tonks, tot in der Großen Halle liegend, drängten sich gewaltsam vor sein inneres Auge zurück, und für kurze Zeit verschlug es ihm den Atem: Der Tod war ungeduldig …
Aber Dumbledore hatte ihn überschätzt. Er war gescheitert: Die Schlange lebte immer noch. Ein Horkrux blieb, der Voldemort an die Erde band, selbst nachdem Harry getötet worden war. Gewiss, das würde die Aufgabe für jemand anderen leichter machen. Er fragte sich, wer es tun würde … Ron und Hermine würden natürlich wissen, was getan werden musste … das war vermutlich der Grund, weshalb Dumbledore gewollt hatte, dass er sich zwei anderen anvertraute … denn wenn er seiner wahren Bestimmung ein wenig zu früh nachkommen sollte, konnten sie weitermachen …
Wie Regen gegen ein kaltes Fenster prasselten diese Gedanken auf die harte Oberfläche der unumstößlichen Wahrheit, die lautete, dass er sterben musste. Ich muss sterben . Es muss enden.
Ron und Hermine schienen weit weg, in einem fernen Land; ihm war, als hätte er sich vor langer Zeit von ihnen getrennt. Es würde keine Abschiedsworte geben und keine Erklärungen, dazu war er entschlossen. Dies war eine Reise, die sie nicht gemeinsam antreten konnten, und die Versuche, die sie unternehmen würden, um ihn aufzuhalten, würden wertvolle Zeit verschwenden. Er blickte hinab auf die lädierte goldene Uhr, die er zu seinem siebzehnten Geburtstag bekommen hatte. Fast die Hälfte der Stunde, die Voldemort für seine Auslieferung gewährt hatte, war vergangen.
Er stand auf. Sein Herz sprang gegen seine Rippen wie ein verzweifelter Vogel. Vielleicht wusste es, dass es nur noch wenig Zeit hatte, vielleicht war es entschlossen, vor dem Ende noch die Schläge eines ganzen Lebens zu vollbringen. Ohne einen Blick zurück machte er die Bürotür zu.
Das Schloss war leer. Er kam sich vor wie ein Gespenst, während er allein hindurchschritt, als ob er bereits tot wäre. Die Leute aus den Porträts waren immer noch nicht in ihren Rahmen zurück; im ganzen Schloss herrschte unheimliche Stille, als hätte sich all sein verbliebener Lebenssaft in der Großen Halle gesammelt, wo sich die Toten und die Trauernden drängten.
Harry zog den Tarnumhang über und stieg die Stockwerke hinab, und schließlich über die Marmortreppe hinunter in die Eingangshalle. Vielleicht hoffte ein winziger Teil von ihm, gespürt zu werden, gesehen zu werden, aufgehalten zu werden, doch der Tarnumhang war wie immer undurchdringlich, perfekt, und er gelangte ohne weiteres zum Portal.
Dann stieß Neville beinahe mit ihm zusammen. Er war einer von zweien, die eine Leiche vom Gelände hereintrugen. Harry blickte hinab und verspürte einen weiteren dumpfen Schlag in den Magen: Colin Creevey, obgleich minderjährig, musste sich zurückgeschlichen haben, genau wie Malfoy, Crabbe und Goyle. Im Tod war er winzig.
»Weißt du was? Ich kann ihn allein tragen, Neville«, sagte Oliver Wood, hob Colin quer über seine Schulter und trug ihn in die Große Halle.
Neville lehnte sich einen Moment
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