Harry Potter und der Halbblutprinz
Oder war er in Wirklichkeit besorgt über das, was er gehört hatte, und täuschte nur das Gegenteil vor?
»Nun, Sir«, sagte Harry mit, wie er hoffte, höflicher und ruhiger Stimme, »Sie vertrauen also eindeutig immer noch –?«
»Ich war weitherzig genug, diese Frage schon einmal zu beantworten«, sagte Dumbledore, doch er klang nun nicht mehr sehr weitherzig. »Meine Antwort hat sich nicht geändert.«
»Das würde ich doch auch meinen«, sagte eine höhnische Stimme; Phineas Nigellus tat offensichtlich nur so, als würde er schlafen. Dumbledore beachtete ihn nicht.
»Und nun, Harry, muss ich darauf bestehen, dass wir weitermachen. Ich habe heute Abend wichtigere Dinge mit dir zu besprechen.«
Harry saß da und war kurz davor, zu rebellieren. Was wäre, wenn er einfach nicht zuließ, dass sie das Thema wechselten, wenn er stattdessen darauf beharrte, die Beweise gegen Malfoy zu diskutieren? Als ob Dumbledore seine Gedanken gelesen hätte, schüttelte er den Kopf.
»Ach, Harry, wie häufig kommt das vor, selbst unter den besten Freunden! Jeder von uns glaubt, was er zu sagen hat, sei viel wichtiger als alles, was der andere beisteuern könnte!«
»Ich denke nicht, dass das, was Sie zu sagen haben, unwichtig ist, Sir«, sagte Harry steif.
»Nun, da hast du vollkommen Recht, denn das ist es nicht«, sagte Dumbledore munter. »Ich will dir heute Abend zwei weitere Erinnerungen zeigen, sie waren beide nur unter größten Schwierigkeiten zu bekommen, und ich glaube, die zweite davon ist die wichtigste, die ich gesammelt habe.«
Harry sagte nichts dazu; er war immer noch wütend darüber, wie Dumbledore seine vertraulichen Mitteilungen aufgenommen hatte, sah aber nicht, was es bringen würde, wenn er weiter argumentierte.
»Also«, sagte Dumbledore mit eindringlicher Stimme, »wir sind heute Abend hier zusammen, um mit der Geschichte von Tom Riddle fortzufahren, den wir in der letzten Stunde zu Beginn seiner Jahre in Hogwarts verlassen haben. Du wirst dich erinnern, wie aufgeregt er war, als er hörte, dass er ein Zauberer sei, dass er mein Angebot ausschlug, ihn auf einer Reise in die Winkelgasse zu begleiten, und dass ich ihn wiederum vor weiteren Diebeszügen in seiner künftigen Schule warnte.
Nun, mit dem neuen Schuljahr kam also auch Tom Riddle nach Hogwarts, ein ruhiger Junge in einem gebraucht gekauften Umhang, der sich in die Reihe der anderen Erstklässler stellte, um einem Haus zugeteilt zu werden. Kaum hatte der Sprechende Hut seinen Kopf berührt, teilte er ihn dem Haus Slytherin zu«, fuhr Dumbledore fort und winkte mit seiner geschwärzten Hand zu dem Regal über ihm, wo der Sprechende Hut lag, uralt und reglos. »Wie schnell Riddle erfuhr, dass der berühmte Gründer des Hauses mit Schlangen reden konnte, weiß ich nicht – vielleicht war es noch am selben Abend. Dieses Wissen wird ihn sicher erregt und seinen Eigendünkel noch verstärkt haben.
Falls er jedoch seine Mitschüler in Slytherin verängstigt oder beeindruckt haben sollte, indem er ihnen im Gemeinschaftsraum Kostproben von Parsel vorführte, so ist jedenfalls nicht der geringste Hinweis darauf an die Lehrerschaft gelangt. Nach außen hin zeigte er keinerlei Arroganz oder Aggression. Als ungewöhnlich begabte und sehr gut aussehende Waise zog er natürlich, kaum dass er angekommen war, die Aufmerksamkeit und die Zuneigung des Kollegiums auf sich. Er wirkte höflich, ruhig und wissensdurstig. Fast alle waren sehr angenehm von ihm beeindruckt.«
»Haben Sie ihnen nicht erzählt, Sir, wie er war, als Sie ihn im Waisenhaus trafen?«, fragte Harry.
»Nein, das habe ich nicht. Denn obwohl er keine Spur von Reue gezeigt hatte, war es doch möglich, dass es ihm leidtat, wie er sich zuvor verhalten hatte, und dass er entschlossen war, einen neuen Anfang zu machen. Ich wollte ihm diese Chance geben.«
Dumbledore hielt inne und sah Harry fragend an, der den Mund schon geöffnet hatte, um etwas zu sagen. Hier zeigte sich wieder einmal Dumbledores Neigung, Menschen zu vertrauen, auch wenn es absolut offenkundig war, dass sie es nicht verdienten! Doch dann fiel Harry etwas ein …
»Aber Sie haben ihm nicht wirklich vertraut, Sir, oder? Er hat es mir erzählt … der Riddle, der aus dem Tagebuch kam, sagte: ›Dumbledore schien mich nie so zu mögen wie die anderen Lehrer.‹«
»Sagen wir mal, ich nahm es nicht als selbstverständlich hin, dass er vertrauenswürdig war«, erwiderte Dumbledore. »Ich hatte wie gesagt beschlossen, ihn
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