Hart
Hast du von mir erwartet, dass ich das einfach so hinnehmen würde?»
Michael seufzte. «Nein. Aber ich war ehrlich.»
«Du hättest von Anfang an ehrlich mit mir sein sollen. Du warst nicht über sie hinweg. Warum hast du mir das Herz gebrochen? War ich ein Experiment, um auszutesten, ob du schon so weit bist? War ich das für dich?»
Ich wusste, dass meine Wut bald alle emotionalen Dämme durchbrechen würde. Ich wollte ihn mit meinen Worten so schmerzhaft verletzen, wie er mich mit seinen Geständnissen verletzt hatte. Er wusste das und wählte daher seine Worte mit Vorsicht.
«Nein. So war es nicht. Ich dachte, dass ich über sie hinweg wäre.»
«Bist du jetzt über sie hinweg?», fragte ich und verfluchte mich sofort dafür.
«Nein.»
Meine Wut schwappte über. «Wie du mich gegen so eine Hure austauschen konntest …»
Klick.
Michael hatte aufgelegt.
Überrascht starrte ich das Telefon an. Er hatte mitten im Gespräch aufgelegt?
Dann wurde mir der Grund dafür klar, und aus der Wut wurde rasender Zorn. Er hatte aufgelegt, weil ich etwas Schlechtes über diese von ihm angebetete Schlampe gesagt hatte. Er steckte so tief in seiner Phantasiewelt, dass er sie nicht als das sehen konnte, was sie wirklich war.
Und dann war er mir böse, weil ich die Wahrheit sagte. Was Unwahrheiten betraf, sollte er besser vor seiner eigenen Haustür kehren.
Ich wählte seine Nummer.
«Was?», schnauzte er, nachdem er schon beim ersten Läuten abgenommen hatte.
«Leg nie wieder mitten im Gespräch auf, nur, weil ich dir sage, was ich von dieser Frau halte», knurrte ich.
«Sie ist keine Hure. Ich mag es nicht, wenn du sie so nennst.»
«Du kannst sie nur nicht als das sehen, was sie wirklich ist.»
«Hör mal», meinte er aufgebracht. «Ich muss jetzt los.»
«Wie konntest du mir das antun?», fragte ich. Ich erinnerte mich an die Nacht, in der er meine Welt zerstört hatte, und es war, als stürzte ich rückwärts durch die Zeit. Ich erinnerte mich an den Schmerz, der wie ein körperlicher Schlag gewesen war, und mir fiel wieder ein, dass er sich kein einziges Mal dafür entschuldigt hatte, dass er mir monatelang etwas vorgegaukelt hatte. All das war plötzlich wieder da.
«Ich will mein altes Leben zurück, verdammt!», brüllte ich.
Michael hörte es in verblüfftem Schweigen.
«Ich war so glücklich», sagte ich und gab mir alle Mühe, nicht zu weinen. «Ich war nie so glücklich wie damals mit dir.»
«Mit Tom bist du jetzt nicht so glücklich?», knurrte Michael, und heftige Röte überzog mein Gesicht. Verwirrung, Wut, Trauer und Scham, alles fiel in eins. Wusste er, wie weit die Dinge mit Tom gediehen waren? Nein. Nein, das war unmöglich.
«Du weißt nicht, was ich durchmachen musste», sagte ich.
«Ich muss jetzt wirklich los», erwiderte Michael, und seine Stimme war voller Eifersucht. Das erschütterte mich bis ins Mark. Eifersucht? Wo kam denn die her?
Michael?
«Schau mal. Wenn ich jetzt noch irgendwas sage, werden wir beide das später bereuen.»
Ich saß schweigend da. Eine Träne lief mir über die Wange.
«Ich ruf dich später an», sagte er, und dann hörte ich nur noch das Freizeichen.
Ich ließ den Hörer fallen. Er klapperte auf den Boden und landete auf der Vorderseite, sodass das Display verdeckt wurde, das bestimmt noch immer seinen Namen anzeigte.Ich schlug die Hände vors Gesicht und ließ mich auf einen Stuhl sinken.
Er war eifersüchtig. Das war aus dem Zorn, den ich aus seinen Worten herausgehört hatte, deutlich zu erkennen. Wenn er aber eifersüchtig war …
«Hör damit auf», sagte ich laut. «Schlag diesen Weg nicht ein. Dafür bist du zu klug. Du weißt, dass es vorbei ist, und du weißt, dass du einen Mann brauchst, für den du die Nummer eins bist. Du brauchst einen Mann wie Tom.»
Toms Name schien im Raum zu schweben. Die ersten Schuldgefühle machten sich in meinem Kopf breit. Wie konnte ich Michael nach alldem zurückhaben wollen? Warum ließ ich mich von seiner Stimme noch immer so berühren? Warum hatte ich nicht mehr Achtung vor dem Mann in dem Holzhaus auf der anderen Seite der Stadt, der geduldig auf meine Rückkehr wartete?
Dann brach ich in Tränen aus und wusste nicht, um wen ich weinte – um Michael, um Tom oder um mich selbst.
Ich weinte die ganze Zeit, in der ich die Kiste mit den Dingen fertig packte, die ich mit zu Tom nehmen wollte. Ich weinte, als ich im Garten den Gartenschlauch aufrollte und Blätter vom Picknicktisch fegte. Ich
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