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Hart

Hart

Titel: Hart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Masters
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darüber, wie wir uns kennengelernt hatten, und ich redete davon, was wir zusammen unternommen hatten, bevor die negativen Aspekte sich in unsere Beziehung einschlichen. Ich erzählte ihm auch von meinen Eltern und wie ihreBeziehung jeden Tag meines Lebens beeinflusst hatte. Ich erzählte ihm alles, das Gute wie das Schlechte.
    Tom berichtete mir zum ersten Mal von seinen Einsätzen beim Militär. Er erzählte mir von seinem Aufenthalt an einem Ort, den er nicht benennen wollte oder konnte, und von den schrecklichen Tagen, in denen er von allen Vorräten und der Hälfte seiner Einheit abgeschnitten war, während er mit seinem Trupp durch feindliches Feuer in einem ausgebombten Gebäude festgehalten wurde. Überall waren Scharfschützen, und es gab einen Moment, in dem er so von Hunger geschwächt war, dass er einfach losrennen und die gegnerischen Linien durchbrechen wollte – aber zwei seiner Kameraden waren bereits gefallen, und er hatte das Kommando.
    «Stammt die Narbe am Bein von damals?», fragte ich.
    Tom nickte an meiner Stirn.
    «Was ist passiert?»
    Tom lag lange reglos da, und ich dachte schon fast, er wäre eingeschlafen. Als er wieder sprach, klang seine Stimme hohl, und ich wusste, dass er jetzt innerlich kaum noch bei mir war, sondern wieder in jenem Land auf der anderen Seite der Welt.
    «Einer meiner Leute – er hieß Richard   –, die Belastung war zu groß für ihn. Er ist zerbrochen. Sowieso fuhr er bei jedem Schatten zusammen. Das taten wir alle. Aber das hier war anders. In einem anderen Raum fiel etwas herunter, vielleicht ein Backstein oder ein Brett, irgendetwas in der Art, keine Bedrohung – aber Richard fing einfach an, wild in der Gegend herumzuballern, und hörte nicht mehr auf.»
    Ich griff nach Toms Hand. Die Welt, von der Tom mir erzählte, war ebenso fremdartig wie die Märchenbücher über Einhörner, die ich als Kind gelesen hatte.
    «Er hat dich angeschossen», wollte ich ihn zum Weitererzählen animieren.
    Tom schwieg lange. «Ich wünschte, ich hätte jetzt eine Zigarette», sagte er schließlich. «Früher habe ich geraucht, weißt du? Beim Militär. Alle haben geraucht. Als ich hierher zurückkam, schmeckten die Zigaretten nicht mehr. Ich habe von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufgehört, und es gelüstet mich nie danach, außer wenn ich über früher spreche.»
    Ich stand auf. Inzwischen war ich mit Toms Haus vertraut und wusste, was in der obersten Schublade der Frisierkommode lag. Ich fand die Packung Marlboro und das Feuerzeug und brachte beides zum Bett.
    Tom setzte sich lächelnd auf. Er schüttelte eine Zigarette aus der Packung, und ich hielt ihm das Feuerzeug hin. Der erste Zug brachte ihn zum Husten.
    «Ich hab dir ja gesagt, dass es lange her ist», sagte er. «Die verdammte Packung ist wahrscheinlich drei Jahre alt.»
    Ich sah zu, wie er die Asche sorgfältig an der Rückseite der Schachtel abklopfte. So beim Rauchen kam Tom mir wie ein Fremder vor. Er rauchte die halbe Zigarette auf, bevor er wieder etwas sagte.
    «Ich habe zurückgeschossen», erklärte Tom.
    Ich verstand ihn nicht.
    «Was meinst du damit?», fragte ich, doch sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, merkte ich, dass ich es eigentlich schon wusste.
    «Er hatte Hunderte von Kugeln», sagte Tom langsam. «Er schoss auf alles, was sich bewegte. Er tötete Saunders, und dann traf er Dempsey am Arm und tötete den fast auch. Dempsey. Das ist der Vater meines Freundes Jake. Du musst Jake einmal kennenlernen.»
    Tom zog an der Zigarette. Er hielt sie vor sich und betrachtete die bernsteinfarbene Glut.
    «Es hieß entweder er oder ich, verstehst du? Damit kamich klar, solange der andere nicht ein Amerikaner namens Richard aus einer Kleinstadt in Indiana war, der zu Hause eine Frau und zwei Kinder hatte.»
    Ich zog die Knie an die Brust und vergrub das Gesicht in den Armen. Tom atmete zur Decke hin aus und sah zu, wie der Rauch im Dunkeln entschwand.
    «Er war dort drüben mein bester Freund», sagte Tom. «Es ist die Hölle, wenn man sieht, wie der beste Freund von jemand anderem erschossen wird. Aber es ist schlimmer als die Hölle, ihn selbst erschießen zu müssen.»
    Ich schüttelte den Kopf, unsicher, was ich sagen sollte.
    «Vier Stunden später kamen wir da raus. Vier Stunden. Ist das zu glauben? Richard wird verrückt, und ich gebe ihm eine Kugel, und dann kommen vier Stunden später die Hubschrauber und mähen alles nieder. Sie haben alles plattgemacht, um uns da rauszuholen.

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