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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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eitel zwischen all den Mercedes SLK, Hausfrauen-Smarts und Zweit- oder Drittgolfs am Straßenrand. Endlich parkte sie mal nicht unter ihrem Niveau.
    Eine Dame, die aus dem Haus an der Ecke Kauzenhe cke kam, gab mir die Jugendstiltür in die Hand. Mein lautes »Grüß Gott« zerstreute den Verdacht, ich wolle in räuberischer Absicht hineinhuschen. Ein Kachelfries über Marmorplatten mit Messingknöpfen begleitete mich treppauf. Der Jugendstil war komplett bis hin zum Aluminiumgeländer, dessen Pfosten trompetenartig ausschwangen. Tiffany-Gläser zierten die Holztüren mit ge schnitzten Perlenschnüren im Rahmen. Die Klingelknöp fe glänzten wie eine Klitoris in Messingschalen. Man hatte sogar darauf geachtet, dass die Namensschildchen sich geschwungen und genietet anpassten. Ich hatte noch nie meinen Finger nach der Klitoris unter dem Namen Weber ausgestreckt. Fussel, Krümel und Schnipsel aus der Jackentasche klebten an meinem Finger. Konnte man über die Schwelle einer Tiffany-Tür treten, wenn man drei Sweatshirts übereinander trug und einen Platzverweis in der Tasche? Schon hoffte ich, ich klingelte vergeblich, denn die Glasintarsien blieben lange dunkel. Doch dann leuchteten sie grün, gelb und blau auf. Ich wischte mir die schweißigen Hände am Gesäß ab, nur um sie wieder in die Jackentaschen zu stauchen.
    Wer so eine Tür aufmachte, der musste auch am Samstagabend Weste und Schlips tragen, der zog indigniert die Brauen hoch und ließ den Blick abwärts gleiten, bis hinab auf ein Paar Stiefel, die von der Polizei auf Drogen untersucht worden waren. Aber eine Kleinigkeit stimmte nicht: Richard stand auf Socken.
    »An dein Telefon«, sagte ich, »geht immer nur der Anrufbeantworter.«
    Er konnte besser schweigen als ich. Nichts, was Män ner ausschweigen können, war ihm zu billig, es mit eisiger Miene im Gefrierschrank zu verschließen. Und seine Tür öffnete er nicht mit der Leichtigkeit, mit der er meine öffnete, um bei mir einzudringen. Er hatte mich noch nie zu sich gebeten. Vermutlich harmonierte die Entgleisung nicht mit seinem Bechsteinflügel. Wenn ich Takt beses sen hätte, wäre ich hier niemals aufgetaucht.
    »Störe ich?«
    Endlich gab er den Eingang frei. Das Linoleum im Flur war in originalhistorische Streifen und Romben gelegt. Perlenschnüre an den Türrahmen, Lilienlinien im Stuck der Decke. So eine Wohnung war nicht zu möblieren, es sei denn von einem Gutbetuchten, der zumindest ins Entree die Jugendstilkommode setzen konnte. Im Wohnzimmer – oder nannte man das mit einem dunkel gebeizten Kirschholzschreibtisch mit umlaufendem Ovarienfries ausgestattete Zimmer bei einem alleinstehenden Herrn besser Herrenzimmer? – reichten die Bücherregale vom Parkett bis zur Stuckdecke. Im schweren roten Teppich standen knöcheltief zwei Clubsessel und ein Schie fertischchen, auf dem im Kelch die Neige Rotwein glüh te. Der Aschenbecher hatte sein Fassungsvermögen erreicht.
    Schweigend stellte Richard mir ein Glas hin, das er mit einem ’88er Chivite füllte. Nichts verführte ihn dazu, sich wieder zu setzen, bevor ich Platz nahm. Er stand, steckte die Hände in die Hosentaschen und bewachte mein Herumstehen, als ob ein falscher Blick die Intimsphäre seiner Wohnung verletzen könnte.
    Ich entledigte mich der Lederjacke. Auch waren drei Sweatshirts auf der Straße recht, aber hier zu viel. Der Versuch, nur eines auszuziehen, führte zu einem schmählichen Kampf mit drei Lagen Baumwolle, der damit endete, dass ich mir alles über den Kopf riss.
    »Lass das!«, sagte Richard.
    Dabei war mein Unterhemd blau und ohne Löcher. Ich streifte mir das rosa Sweatshirt wieder über und stopfte den Rest hinter den Sessel, von dem ich wegen der Position der Weingläser annahm, dass es nicht der war, aus dem er gerade aufgestanden war. Richards Auge entlarv te die bräunlichen Verfärbungen am Ärmelbündchen mei nes Shirts. Aber es hatte ohnehin keinen Sinn, wenn ich so tat, als wäre ich nicht die, die ich war. Ich fragte mich, ob er strümpfig ging, um den Teppich zu schonen oder das historische Linoleum im Flur. Immerhin entstammte er einer pietistischen Fabrikantenfamilie aus Balingen, und zu Geld kommt nicht, wer es verdient, sondern wer es nicht ausgibt.
    »Ich war gerade bei Isolde.«
    »Ich werde mit dir nicht über Isolde diskutieren.«
    »Au.«
    Um an seine Zigaretten zu kommen, musste er sich dem Schiefertischchen nähern. Ich behielt meine Hände züchtig bei mir. Nachdem diese Klippe umschifft

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