Harte Schule
es nicht.«
»Kann es sein, dass du … ich meine, dass du … sagen wir mal … hm?«
»Lisa, mach dich nicht über mich lustig!«
»Aber …« Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. Ich hustete, schluckte Luft, atmete Spucke, röchelte und erstickte. Die vorübergehende Verwechslung von Luft- und Speiseröhre war das Einzige, was ich von meinem Vater geerbt hatte. Ich verfluchte ihn jedes Mal für die Existenzangst, die er mir bescherte, aber immer erst hinterher, denn währenddessen hatte ich mehr als genug damit zu tun, den Schaltfehler im Hirn zu überbrücken. Machen Sie das mal im Bereich der vegetativen Reflexe. Luftanhalten, auch wenn das Zwerchfell krampft, und Gedanken ordnen. Wohin muss die Spucke?
»Bleib am Leben!«, sagte Richard plötzlich nahe. Die Luft tastete sich vorsichtig in die Bronchien vor. Allmählich sah ich die Lichter der Stadt wieder, wenn auch verschwommen. Richard klopfte mir den Rücken.
»Ich schwöre«, röchelte ich, »das war kein Trick.«
»Nicht sprechen, atmen!«
Nun lief mir die Nase. Richard zeigte mir das Bad. Weiße Kacheln ernüchterten, wenn sie auch ein paar grüne Schnörkel hatten. Als ich noch immer hüstelnd in die Küche wankte, hatte Richard lederne Hausschlappen an den Füßen und sein übliches Gesicht aufgesetzt, wenn auch um die Augen herum etwas aufgeweicht. Er füllte die Kaffeetassen. Die grünen Punkte in seiner Iris eierten.
»Fassen wir zusammen«, hüstelte ich. »Du fühlst dich verraten. Du bist eifersüchtig, auch wenn es keinen Grund gibt. Mein Gott, ein Lehrer in Kordhosen und Allwetterjacke. Lächerlich!«
»Du kannst sagen, was du willst«, sagte er. »Ich kann es nicht kontrollieren. Es beherrscht mich. Ich kann nicht ausweichen. Ich halte es nicht aus. So erbarmungslos hatte ich mir das nicht vorgestellt.«
»Soll ich dir meinen Rücktritt anbieten?«
»Ich nähme ihn an.«
Arschloch! Ich stellte den Kaffee ab und ging meine Kleidungsstücke im Salon aufsammeln. Er stand im Flur an der Jugendstilkommode, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Übrigens, Isolde hat …«, sagte ich.
Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.
»Du eitler Bock! Merkst du denn nicht, dass sie dich diesmal drankriegen, wenn du dich auf deine ehrenhaften Schachzüge beschränkst? Hörst du nicht, wie dein Freund Fuhr sich die Hände reibt? Egal, ob Isolde sich auf deine Ehrenrettung besinnt, es läuft darauf hinaus, dass du Kurt Holzer hast warnen lassen, damit er die Unterlagen vernichten konnte. Wollen wir hoffen, dass Holzer überlebt, denn Isolde erinnert sich, dass du von ihr verlangt hast, er solle sich dir und nur dir stellen. Plötzlich erscheint auch Marquardts Tod in einem anderen Licht. Der Mann, der TVCinema bei den Steuerbehörden angezeigt hat, kann seine Anschuldigungen nicht mehr wiederholen. Überdies behauptet Isolde, du hättest mit ihr geschlafen. Es sähe so aus, als habe der immer korrekte Oberstaatsanwalt einer jungen Frau einen Liebesdienst erwiesen und dann einen Mord aus Eifersucht begangen.«
»Unsinn!«
»Du bist schachmatt. Auch dein Tennisbruder Elsäßer hilft dir nicht. Er verbietet mir, über den Kultusminister im Schwulenclub zu schreiben.«
»Davon verstehst du nichts.«
»Wenn ein altgedienter Chefredakteur keine Lust hat, den Kultusminister zu stürzen, dann muss er verteufelt Angst haben, am Ende gar vor dir.«
»Nun mach aber mal einen Punkt.«
»Vor meinem Haus warten auch schon zwei Killer.«
»Du hattest schon immer eine blühende Phantasie.«
»Richtig, ich verstehe nicht, was hier läuft. Die Polizei wird, sobald sie ihn kriegt, den Schüler Marko festnehmen und ihm den Mord an Marquardt anhängen. Dank deiner TVCinema-Pleite wird niemand erfahren, dass es im Mordfall Marquardt eigentlich um Kinderschändung und Pornohandel ging, der vom Kultusminister gefördert wurde. Ist es das, was ihr wollt? Und ich Trottel rede noch mit dir, statt meine Informationen an die Bildzeitung weiterzugeben, ehe man meine Leiche aus dem Neckar zieht.«
»Quark«, rezitierte er, »der getreten wird, wird breit, nicht stark.«
Ich raffte meine Klamotten. Es hatte keinen Sinn. Ich schlitterte die Treppen hinab. Unten merkte ich, dass ich eines meiner Sweatshirts verloren hatte. Also wieder hinauf. Man hängt doch an den albernsten Dingen. Auf dem zweiten Treppenabsatz stand Richard, die Nase in meinem Kleidungsstück vergraben. Ich riss es ihm weg. Er schnappte mich am Ärmel. »Langsam, mein Kind, die Killer will
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