Harter Schnitt
Handschuhen. Sie zog ein Paar heraus und streifte sie sich über die Hände. Der Puder wurde zu winzigen Kugeln zusammengeschoben, die an ihrer Handfläche klebten wie Teig.
Ohne weitere Umschweife zog sie das Tuch von der ersten Leiche, und nun hatten sie Marcellus Estevez vor sich, den Mann, den sie beim Müllcontainer gefunden hatte. Er hatte dicht nebeneinander zwei Einschusslöcher in der Stirn. Schmauchspuren sprenkelten die Haut. Sie roch Kordit, was eigentlich unmöglich war, da der Mann schon vor Stunden erschossen worden war.
Amanda sagte: » Zwei Kugeln mitten in die Stirn, wie bei unserem Anschlag aus dem fahrenden Auto beim Lagerhaus.«
Will sagte leise: » Sie müssen das nicht tun.«
» Ich bin okay.« Sara zwang sich zum Arbeiten und fing mit den einfachen Sachen an. » Er ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt«, murmelte sie. » Eins achtundsiebzig bis eins achtzig, ungefähr zweiundachtzig Kilo.« Als sie die Lider nach oben zog, merkte sie, dass sie in die Routine der Untersuchung fiel. » Braun. Das Weiße gelblich verfärbt. Seine Wunde war septisch. Die Autopsie wird wahrscheinlich eine Infiltration der größeren Organe ergeben. Als wir ihn fanden, schalteten seine Systeme sich bereits ab.« Sie rollte das Laken nach unten, damit sie sich noch einmal seinen Bauch anschauen konnte, diesmal mit dem Schwerpunkt forensische Untersuchung, nicht mögliche Behandlung.
Der Mann war nackt; die Kleider hatte man ihm abgeschnitten, als man ihn in die Notaufnahme brachte. Deutlich konnte Sara die Wunde im unteren linken Quadranten seines Bauchs erkennen. Sie presste die Wundränder zusammen, um zu sehen, ob sie den Weg der Klinge nachvollziehen konnte. » Der Dünndarm wurde durchstochen. Es sieht aus, als wäre die Klinge nach oben eingedrungen. Ein Stoß mit der rechten Hand aus liegender Position.«
Amanda fragte: » Er war über ihr?«
» Würde ich annehmen. Wir reden hier von Evelyn, nicht?« Will spielte noch immer den Stoiker, aber Amanda nickte. » Die Klinge drang in schrägem Winkel zu den Langer-Linien des Bauchs ein. Wenn man die Schnittkanten so verschiebt«– sie zog die Haut in die ursprüngliche Position, bevor auf den Mann eingestochen worden war– » sieht man, dass Evelyn auf dem Rücken lag, höchstwahrscheinlich auf dem Boden, und der Angreifer über ihr war. Er war an der Taille leicht gekrümmt. Das Messer drang so ein.« Sara griff nach dem Skalpell in der Schale, überlegte es sich dann jedoch anders und nahm stattdessen eine Schere. Sie demonstrierte den Ablauf, hielt die Hand auf Hüfthöhe mit nach oben weisender Schere. » Es war eher verteidigend als vorsätzlich. Vielleicht kämpften und stürzten sie gleichzeitig. Das Messer drang ein. Der Mann rollte ab, während das Messer noch in seinem Bauch steckte– man sieht, dass die Wunde an der Außenkante deutlich stärker eingeschnitten ist, was auf Bewegung hindeutet.«
» Küchenmesser?«, fragte Amanda.
» Statistisch ist es die häufigste Waffe, und der Kampf fand in einer Küche statt, deshalb liegt das nahe. Um sicherzugehen, muss der ME einen Vergleich anstellen. Wurde die Waffe am Tatort gefunden?«
» Ja«, antwortete Amanda. » Sind Sie sich ganz sicher? Sie lag auf dem Rücken?«
Sara sah, dass Amanda über diese Einschätzung nicht gerade erfreut war. Sie wollte ihre Freundin als Kämpferin sehen, nicht als jemanden, der einfach nur Glück gehabt hatte. » Der Großteil tödlicher Stichwunden findet sich in der linken Brustregion. Wenn man jemanden töten will, zielt man aufs Herz, von oben nach unten, direkt in die Brust. Das hier war verteidigend.« Sie deutete auf die aufgeschlitzte Handfläche des Manns. » Aber Evelyn hatte sich nicht so leicht geschlagen gegeben. Irgendwann zuvor musste sie ihn direkt angegriffen haben, weil er die Klinge des Messers packte.«
Amanda schien von dieser Information nur mäßig besänftigt. » Ist irgendwas in seinem Magen?«
Sara griff unter die Rollbahre und zog das für den ME des Fulton County bestimmte Transportpaket heraus. Krakauer hatte den Großteil der Informationen eingetragen, während Sara von der Polizei befragt wurde. Es war ein Standardformular. Der Pathologe, der die Autopsie durchführte, musste wissen, ob Drogen an Bord waren, welche Prozeduren durchgeführt worden waren, welche Spuren aus dem Krankenhaus stammten. Auf der letzten Seite fand Sara eine thermale Reproduktion der Röntgenaufnahmen.
Sie sagte: » Es sieht aus, als wären im Bauch
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