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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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nicht. Es war ihm egal, ob sie ihn verstanden hatte oder nicht, ob sein Job in Gefahr war oder sie ihm einen neuen Kreis der Hölle eröffnen würde, weil er es gewagt hatte, ihr die Stirn zu bieten. Will konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal die Qualen erlebt hatte, die er an diesem Nachmittag hatte durchleiden müssen. Eine ganze Stunde hatten sie vor diesem verdammten Lagerhaus gesessen, bevor die Polizei von Doraville sie ziehen ließ. Will verstand, warum die Detectives mit ihnen reden wollten. Sie hatten zwei Leichen und überall Einschusslöcher. Auf einem Regal im hinteren Teil des Gebäudes lagen Unmengen von illegalen Maschinenpistolen. In Julia Lings Büro befand sich ein großer Safe, dessen Tür offen stand und vor dem Hundertdollarscheine verstreut lagen. Man kam nicht zu einem solchen Tatort und ließ die beiden einzigen Zeugen einfach gehen. Formulare mussten ausgefüllt, Fragen beantwortet werden. Will musste eine Aussage machen und dann warten, während Amanda die ihre machte. Seinem Gefühl nach hatte sie sich Zeit damit gelassen. Er hatte im Auto gesessen, und während er zusah, wie sie mit den Detectives sprach, hatte er sich gefühlt, als würde in seiner Brust jeden Augenblick ein Vulkan ausbrechen.
    Ein Dutzend Mal hatte er sein Handy zur Hand genommen und wieder weggelegt. Sollte er Sara anrufen? Sollte er sie in Ruhe lassen? Brauchte sie ihn? Würde sie anrufen, wenn es so wäre? Er musste sie sehen. Wenn er sie sah, würde er wissen, wie er reagieren müsste, um ihr zu geben, was sie brauchte. Er würde sie an sich drücken. Er würde ihre Wange, ihren Hals, ihren Mund küssen. Er würde alles tun, damit es ihr besser ging.
    Oder er würde einfach im Flur stehen wie ein Volltrottel und nach ihrer Hand greifen.
    Amanda schnippte mit den Fingern, damit er sich wieder auf sie konzentrierte. Will hob nicht einmal den Kopf, doch sie redete trotzdem. » Ihr Notfallkontakt ist Angela Polaski. Ich schätze, ich sollte Angie Trent sagen, da sie Ihre Frau ist.« Sie hielt kurz inne, um die Wirkung zu verstärken. » Ist sie noch Ihre Frau?«
    Er schüttelte den Kopf. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Frau so unbedingt schlagen wollen.
    » Was haben Sie von mir erwartet, Will?«
    Er schüttelte nur weiter den Kopf.
    » Also, ich sage Ihnen, dass Ihre– ich weiß auch nicht, was ist denn Dr. Linton inzwischen für Sie?– Geliebte? Freundin? Kumpel? in Schwierigkeiten ist, und dann? Wir lassen alles stehen und liegen, damit Sie sie anglotzen können?«
    Will stand auf. Das machte er nicht mehr mit. Er würde nach Atlanta trampen, wenn er musste.
    Sie seufzte, als hätte sie die ganze Welt gegen sich. » Der Direktor wird jeden Augenblick hier sein. Sie müssen sich jetzt zusammennehmen, damit ich Sie auf unser Gespräch mit Roger Ling vorbereiten kann.«
    Will schaute sie zum ersten Mal, seit sie das Krankenhaus verlassen hatten, an. » Mich?«
    » Er hat speziell Sie verlangt.«
    Das war sicher eine Art Trick, aber er hatte keine Ahnung, wohin er führen sollte. » Woher kennt er überhaupt meinen Namen?«
    » Von seiner Schwester, denke ich.«
    Soweit Will wusste, war Julia Ling noch immer auf der Flucht. » Sie hat ihn im Gefängnis angerufen?«
    Amanda verschränkte die Arme vor der Brust. » Roger Ling sitzt in Einzelhaft, weil er eine Rasierklinge in seinem Rektum versteckte. Er bekommt keine Anrufe. Er bekommt keinen Besuch.«
    Isolation hatte das Nachrichtensystem im Gefängnis noch nie sonderlich eingeschränkt. Es gab innerhalb dieser Wände so viele illegale Handys, dass während des landesweiten Gefangenenstreiks im letzten Jahr die New York Times überschwemmt worden war mit Anrufen von Insassen, die ihre Forderungen stellten.
    Trotzdem sagte Will: » Roger Ling hat speziell mich verlangt?«
    » Ja, Will. Die Anfrage kam über seinen Anwalt. Er hat speziell Sie verlangt.« Dann schränkte sie ein: » Natürlich wurde zuerst ich angerufen. Kein Mensch weiß, wer, zum Teufel, Sie sind. Bis auf Roger anscheinend.«
    Will lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er spürte, wie seine Kiefermuskeln sich verspannten. Das Schweigen wollte zurückkehren. Er spürte es wie einen Schatten, der drohend hinter ihm aufragte.
    Sie fragte: » Was glauben Sie, wer ist der Beamte, der sich Dr. Linton im Krankenhaus in den Weg stellte?«
    Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr an Sara denken. Ihm wurde schlecht, sooft er daran dachte, was sie heute hatte durchmachen

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