Harter Schnitt
er Heroin schmuggelte. Ling-Ling will seinen Kopf, weil sie herausgefunden hat, dass Ricardo auch ihr in den Rücken gefallen ist. Ricardos Gang kann das Geld in Evelyns Haus nicht finden. Sie redet nicht. In diesem Augenblick muss Ricardo sich eingestehen, dass sein Leben nicht mehr viel wert ist. Er ist vollgestopft mit Ballons, die er nicht ausscheiden kann. Er wurde schon fast zu Tode geprügelt. Benny Choo hält ihm eine Waffe an den Kopf.« Will rekapitulierte Faith’ Aussage über ihre Konfrontation mit Choo und Ortiz. » Ricardos letztes Wort war ›Almeja‹. So nannte Julia Ling doch Evelyn, nicht? Woher könnte Ricardo das wissen?«
» Ich schätze, wenn Ihre Theorie zutrifft, dass das alles von Chuck Finn kam, dann weiß er es daher.«
» Warum sollte Evelyns Spitzname das letzte Wort sein, das Ricardo, kurz bevor er stirbt, sagt?«
» Das ist ihr Straßenname. Ich wäre überrascht, wenn Ricardo ihren richtigen Namen kannte.« Sie erläuterte: » Die Gangster geben nicht nur sich selbst Spitznamen. Wenn man lange genug bei der Drogenfahndung arbeitet, fällt denen auch was ein, wonach sie dich benennen können. ›Hip‹ und ›Hop‹ waren offensichtlich Abkürzungen ihrer Familiennamen. Boyd Spivey war ›Sledge‹, der Vorschlaghammer. Chuck Finn wurde ›Fish‹ genannt, ich schätze, weil ›Lemming‹ einfach nicht zu ihrem Wortschatz gehörte.« Sie grinste, noch ein privater Witz. » Roger Ling nahm für sich in Anspruch, ›Almeja‹ für Evelyn erfunden zu haben, was wir zu der Zeit ein bisschen merkwürdig fanden, bis wir erfuhren, dass er nicht ein Wort seiner Muttersprache spricht. Mandarin, falls es Sie interessiert.«
» Was ist mit Ihnen?«
» Ich arbeite nicht bei der Drogenfahndung.«
» Aber die kennen Sie.«
» Wag«, sagte sie. » Kurz für Wagner.«
Will glaubte ihr nicht. » Warum will Roger Ling unbedingt mit mir sprechen?«
Sie lachte überrascht auf. » Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie der einzige Mann in diesem Gefängnis sind, der einen Hass auf mich hat?«
Ein lautes Summen und das Scheppern von Stahltüren waren zu hören. Zwei Wachmänner kamen in den Warteraum, gefolgt von einem jüngeren Mann mit Harry-Potter-Brille und passender Wuschelfrisur. Er war eindeutig keines von Amandas alten Mädchen. Auf den Ellbogen seines Cord-Sakkos prankten lila Lederflicken. Seine Krawatte bestand aus gestrickter Baumwolle. Auf dem Hemd hatte er über der Brusttasche einen Fleck. Er roch nach Pfannkuchen.
» Jimmy Kagan«, sagte er und gab ihnen die Hand. » Ich weiß ja nicht, welche Fäden Sie gezogen haben, Deputy Director, aber das ist das erste Mal in meinen sechs Jahren als Direktor hier, dass ich so spätabends noch einmal in die Arbeit gerufen wurde.«
Amanda war übergangslos wieder die Alte, so, als würde ein Schauspieler in seine Rolle schlüpfen. » Ich weiß Ihre Kooperation wirklich sehr zu schätzen, Direktor Kagan. Wir müssen alle unseren Teil beitragen.«
» Ich habe ja kaum eine andere Wahl«, erwiderte Kagan und bedeutete den Wachleuten, die Tür zum eigentlichen Gefängnis zu öffnen. Mit schnellen Schritten führte er sie einen langen Gang entlang. » Ich werde nicht mein ganzes System auf den Kopf stellen, nur weil Sie ein paar Mal den Hörer in der Hand hatten. Agent Trent, Sie müssen in den Zellentrakt. Roger Ling ist seit einer Woche in Einzelhaft. Sie können mit ihm durch den Schlitz in der Tür reden. Ich bin mir sicher, Sie wissen, mit was für einem Menschen Sie es zu tun haben, aber ich sage Ihnen geradeheraus, ich würde nicht in einem Zimmer mit Roger Ling sein wollen, auch wenn Sie mir eine Waffe an den Kopf halten. Wenn Sie’s genau wissen wollen: Ich habe eine Heidenangst davor, dass mir das eines Tages passiert.«
Mit hochgezogener Augenbraue schaute Amanda Will kurz an. » Bei Ihnen klingt das, als würden Primaten den Zoo leiten.«
Kagans Blick besagte, dass sie sich entweder etwas vormache oder einfach wahnsinnig sei. Zu Will sagte er: » Zu jeder Zeit im amerikanischen Strafsystem wurde bei mindestens der Hälfte aller Insassen die eine oder andere geistige Störung diagnostiziert.«
Will nickte. Er kannte die Statistik. Alle Gefängnisse zusammengenommen kauften mehr Prozac als irgendeine andere staatliche Einrichtung.
Kagan sagte: » Einige sind schlimmer als andere. Ling ist schlimmer als die Schlimmsten. Er sollte im Irrenhaus sein. Wegschließen und den Schlüssel wegwerfen.«
Ein weiteres Tor öffnete und
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