Harter Schnitt
seiner Oberlippe sah.
» O Gott«, murmelte er. » Wofür, zum Teufel, war denn das?«
» Du musst mein Auto nehmen. In die Corvette kannst du keinen Kindersitz einbauen. Ich kann dir Geld für Benzin und Lebensmittel geben und ich…«
» Moment mal.« Seine Stimme klang gedämpft hinter seiner Hand, denn er tastete sich den Nasenrücken nach einem Bruch ab. Zum ersten Mal, seit er durch ihre Vordertür gekommen war, schaute er sie an, schaute sie wirklich an. Faith hatte ihren Bruder schon früher geschlagen. Sie hatte ihn mit einem Streichholz gebrannt. Sie hatte ihn mit einem Kleiderbügel verprügelt. Ihrer Erinnerung nach war es das erste Mal, dass Gewalt zwischen ihnen eine Wirkung zeigte.
» Okay.« Er betrachtete sein Spiegelbild im Toaster. Seine Nase war nicht gebrochen, aber unter dem Auge entstand ein satt violetter Fleck. » Aber deinen Mini nehme ich nicht. Ich sehe auch ohne ihn schon dämlich genug aus.«
13 . Kapitel
W ill war nicht leicht in Rage zu bringen, aber wenn ihn die Wut erst einmal gepackt hatte, klammerte er sich daran wie der Geizhals an den Goldtopf. Er warf nicht mit Gegenständen um sich oder benutzte seine Fäuste. Er wütete nicht, hob nicht einmal die Stimme. Das genaue Gegenteil passierte. Er wurde still– völlig still. Es war, als wäre seine Stimme gelähmt. Er behielt alles für sich, weil er aufgrund seiner Erfahrung mit wütenden Menschen wusste, ungezügeltes Ausagieren konnte bedeuten, dass irgendjemand schwer verletzt wurde.
Diese spezielle Art, mit dem eigenen Zorn umzugehen, hatte allerdings auch seine Schattenseiten. Sein stures Schweigen hatte ihm schon in der Schule einige Suspendierungen eingebracht. Vor Jahren hatte ihn Amanda ins Hinterland der Berge North Georgias versetzt, weil er sich geweigert hatte, ihre Fragen zu beantworten. Einmal hatte er mit Angie drei Tage lang nicht gesprochen, weil er Angst hatte, Dinge zu sagen, die er nie mehr zurücknehmen konnte. Sie hatten miteinander gelebt, miteinander geschlafen, miteinander gegessen, sie hatten alles miteinander getan, doch er hatte volle zweiundsiebzig Stunden lang kein einziges Wort gesagt. Falls es in den Paralympics eine Kategorie für funktional analphabetische Stumme gäbe, dann hätte er kein Problem, die Goldmedaille zu gewinnen.
Das sollte allerdings nur heißen, dass sein fünfstündiges Schweigen während der Fahrt mit Amanda zum Coastal State Prison im Verhältnis dazu nichts Besonderes war. Beunruhigend war nur, dass Wills Zorn einfach nicht verrauchte. Er hatte noch nie einen Menschen so gehasst wie in dem Augenblick, als Amanda ihm ganz nebenbei mitteilte, dass Sara beinahe ermordet worden wäre. Und dieser Hass verging einfach nicht. Er wartete darauf, dass er nachließ, dass aus dem Sprudeln im Wassertopf ein Simmern wurde, aber es passierte einfach nicht. Auch jetzt, da Amanda vor ihm auf und ab lief, von einem Ende des leeren Besucherwartezimmers zum anderen marschierte wie eine Blechente in einem Schießstand, spürte er die Wut in sich lodern.
Das Schlimmste war, dass er reden wollte. Er sehnte sich danach. Er wollte es ihr vor den Latz knallen und dann zusehen, wie ihr Gesicht zerbröselte, wenn sie erkannte, dass Will sie ernsthaft und unwiderruflich verachtete für das, was sie ihm angetan hatte. Er war noch nie kleinlich gewesen, aber jetzt wollte er ihr wirklich, wirklich wehtun.
Amanda blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. » Ich weiß ja nicht, was man Ihnen gesagt hat, aber Schmollen ist bei einem Mann nicht gerade attraktiv.«
Will starrte zu Boden. Ins Linoleum waren Rinnen eingegraben von den Schuhen der Frauen und Kinder, die an den Wochenenden darauf warteten, ihre Männer und Väter in den Zellen besuchen zu dürfen.
Sie sagte: » Grundsätzlich lasse ich mich von jemandem nur ein Mal so nennen. Ich glaube, Sie haben sich die richtige Zeit dafür ausgesucht.«
Er war also nicht völlig stumm gewesen. Er hatte Amanda mit einem Schimpfwort bedacht, dass er sonst aus Überzeugung nie in den Mund nahm.
» Was wollen Sie, Will? Eine Entschuldigung?« Sie lachte heiser. » Na gut, es tut mir leid. Ich entschuldige mich dafür, Sie nicht so abgelenkt zu haben, dass Sie Ihre Arbeit nicht mehr machen können. Ich entschuldige mich, weil ich dafür gesorgt habe, dass Sie nicht völlig durchdrehen. Ich entschuldige mich…«
Seine Lippen bewegten sich aus eigenem Antrieb. » Können Sie einfach den Mund halten?«
» Wie war das?«
Er wiederholte sich
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