Harter Schnitt
hatten nichts mehr außer Zeit.
Im Gegensatz zum Rest des Gefängnisses brannte im Isoliertrakt die Deckenbeleuchtung. Das Gleißen der Neonröhren verursachte bei Will Kopfschmerzen. Die Luft schien Überdruck zu haben, etwas Schweres, Lastendes. Will fühlte sich wie auf offenem Feld kurz vor einem Tornado.
» Er ist in der letzten«, sagte der Wachmann. Wieder drückte er sich an die Wand, rieb die Schulter am Beton. Will sah die Schleifspuren an der Wand, wo Generationen von Kollegen dasselbe getan hatten. Die Türen gegenüber waren fest verriegelt. Jede hatte oben ein Sichtfenster, schmal, auf Augenhöhe, ein Guckloch. Unten war ein Schlitz, um Essen hindurchzuschieben und Handschellen anzulegen. Massive Riegelstangen sicherten die Türen zusätzlich.
Der Wachmann blieb vor der letzten Tür stehen. Er legte Will die Hand auf die Brust und drückte ihn flach an die Wand. » Ich muss Ihnen nicht sagen, dass Sie genau so stehen bleiben sollen, oder, Mr. Macho?«
Will schüttelte den Kopf.
Der Mann schien all seinen Mut zusammennehmen zu müssen, bevor er zur Zellentür ging. Er legte die Hand auf den Schieber, der das Sichtfenster abdeckte. » Mr. Ling, machen Sie mir Schwierigkeiten, wenn ich den Schieber jetzt zurückziehe?«
Hinter der Tür war gedämpftes Lachen zu hören. Roger Ling hatte denselben schweren Südstaatenakzent wie seine Schwester. » Ich glaube, für den Augenblick bist du sicher, Enrique.«
Der Wachmann schwitzte. Er zog den Schieber mit einem Ruck zurück und ging dann so schnell nach hinten, dass seine Sohlen auf dem Boden quietschten.
Will spürte Schweiß im Nacken. Roger Ling stand offensichtlich mit dem Rücken zur Tür. Will sah ein Stück seines Halses, sein Ohrläppchen, ein Stück orangefarbener Gefängniskluft auf seiner Schulter. In der Zelle brannte Licht, heller als im Gang. Will sah die Rückwand der Zelle, die Ecke einer Matratze auf dem Boden. Die Zelle war kleiner als eine normale, nicht einmal drei Meter lang und nur gut einen Meter breit. Wahrscheinlich gab es eine Toilette und sonst nichts. Kein Stuhl. Kein Tisch. Nichts, was einem das Gefühl erlaubte, ein menschliches Wesen zu sein. Der übliche Gefängnisgeruch– Schweiß, Urin, Fäkalien– war hier noch stechender. Will merkte, dass keiner schrie. Normalerweise war es in einem Gefängnis so laut wie in einer Grundschule, vor allem nachts. Die Drachen hatten ihren Zweck erfüllt. Der ganze Trakt war zum Stillstand gekommen, weil Roger Ling Besuch bekam.
Will wartete. Er hörte sein Herz hämmern, seinen Atem rasseln.
Ling fragte: » Wie geht’s Arnoldo?«
Julia Lings Chihuahua. Will räusperte sich. » Dem geht’s gut.«
» Lässt sie ihn fett werden? Ich habe ihr gesagt, sie darf ihn nicht fett werden lassen.«
» Er scheint…« Will suchte nach einer Antwort. » Sie lässt ihn nicht verhungern.«
» Naldo ist ein süßer kleiner Kerl«, sagte Ling. » Ich sage ja immer, ein Chihuahua ist nur so durchgeknallt wie sein Besitzer. Meinen Sie nicht auch?«
Will hatte darüber noch nicht nachgedacht, aber er sagte: » Klingt einleuchtend. Meine ist ziemlich entspannt.«
» Wie heißt sie gleich wieder?«
Dieser Wortwechsel hatte also doch ein Ziel. Ling wollte feststellen, ob er mit dem Richtigen sprach. » Betty.«
Er hatte den Test bestanden. » Schön, Sie persönlich kennenzulernen, Mr. Trent.« Ling bewegte sich, und Will sah jetzt fast seinen ganzen Nacken. Ein tätowierter Drache schlängelte sich daran hoch. Die Flügel spreizten sich über den kahlen Schädel. Die Augen waren leuchtend gelb.
Ling sagte: » Meine Schwester ist ziemlich durch den Wind.«
» Kann ich mir vorstellen.«
» Diese kleinen Arschlöcher wollten sie umbringen.« Seine Stimme klang hart, genau der Tonfall, den man von einem Mann erwarten würde, der zwei Frauen verstümmelt und getötet hatte. » Die würden sich nicht so aufführen, wenn ich nicht hier drin eingesperrt wäre. Ich würde denen schon zeigen, wo’s langgeht. Sie wissen, was ich meine?«
Will schaute den Wachmann an. Der Mann war angespannt wie eine Bulldogge kurz vor dem Angriff. Oder auf dem Sprung, was vermutlich die klügere Entscheidung wäre. Will dachte an das wartende Einsatzteam und fragte sich, was Roger Ling in einundsechzig Sekunden anstellen konnte. Eine ganze Menge wahrscheinlich.
Ling sagte: » Sie wissen, warum ich gerade mit Ihnen sprechen wollte?«
Will war ehrlich. » Ich habe keine Ahnung.«
» Weil ich nichts von dem glaube,
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