Harter Schnitt
sagte nichts, dachte wahrscheinlich an den toten Mann, der ihre Mutter beschützt hatte. Sara dagegen dachte daran, wie viel Aufwand und Geld nötig war, um einen Mann umzubringen, der im Todestrakt saß. Das Ganze war sorgfältigst geplant und ausgeführt worden von Leuten, die Evelyn Mitchells Schwachpunkte kannten: Boyd Spivey, ihr Beschützer; Faith, ihre Tochter; Amanda, ihre beste Freundin. Das Ganze sah mehr und mehr aus wie ein Racheakt und weniger wie ein schneller Griff nach Geld. Sara merkte, dass Will dieselben Schlüsse gezogen hatte. Doch als er schließlich etwas sagte, erwähnte er, wie immer, das Offensichtliche mit keinem Ton.
Stattdessen fragte er Amanda: » Haben Sie das Bankkonto aus meinem Bericht herausgestrichen?«
» Wir sind nicht das Finanzamt.« Sie zuckte die Achseln. » Kein Grund, jemanden dafür zu bestrafen, dass er das Richtige getan hat.«
Sara merkte, dass Will verärgert war, aber er sagte noch immer nichts. Er steckte einfach die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich an die Anrichte. Sie hatte sich noch nie mit ihm gestritten. Und jetzt war sie sich nicht einmal sicher, ob sie es je tun würde, aber sie konnte sich gut vorstellen, dass es eine große Übung in Vergeblichkeit sein würde.
Faith dagegen schien die Löcher in Amandas Geschichte überhaupt nicht zu bemerken. Doch wenn man sich überlegte, dass ihr Blutzuckerspiegel in den letzten Tagen auf und ab gehüpft war wie ein Tischtennisball, war es verwunderlich, dass sie überhaupt aufrecht sitzen konnte. Darum glaubte Sara auch, sich verhört zu haben, als Faith schließlich sagte:
» Sie haben mir ihren Finger unters Kopfkissen gelegt.«
Amanda zuckte mit keiner Wimper. » Wo ist der Finger?«
» In meinem Medizinschränkchen.« Faith hielt sich die Hand vor den Mund. Sie sah aus, als würde sie sich gleich übergeben. Sara sprang auf und schnappte sich den Mülleimer, aber Faith winkte ab. » Ich bin okay.« Sie atmete ein paar Mal tief durch. Sara holte ein Glas aus dem Geschirrschrank und füllte es mit Wasser.
Faith trank gierig, Sara goss das Glas noch einmal voll und stellte es vor sie hin. Dann lehnte sie sich an die Anrichte und beobachtete Faith genau. Will stand etwa einen knappen Meter von ihr entfernt. Er hatte die Hände noch immer in den Taschen. Sie spürte den Abstand zwischen ihnen wie einen kalten Luftzug.
Faith trank noch einen Schluck Wasser, bevor sie ihnen berichtete: » Sie haben versucht, sich Jeremy zu schnappen. Ich habe ihn mit meinem Bruder weggeschickt. Auch Emma. Und dann ging ich in den Supermarkt, und der Kerl passte mich in der Toilette ab.«
Amanda fragte: » Wie sah er aus?«
Faith gab ihnen eine sehr detaillierte Beschreibung seiner Größe, seines Gewichts, seiner Kleidung und seiner Redeweise. » Ich glaube, er war Hispano. Er hatte blaue Augen.« Sie schaute Sara an. » Ist das normal?«
» Es kommt nicht häufig vor, aber auch nicht sehr selten«, erklärte Sara. » Mexiko wurde von den Spaniern besiedelt. Einige heirateten indigene Amerikaner. Nicht alle Mexikaner haben braune Haut und dunkle Haare. Einige haben blonde Haare und hellere Haut. Einige haben blaue oder grüne Augen. Es ist ein rezessives Gen, aber ab und zu setzt es sich durch.«
Amanda fragte: » Aber dieser Kerl hatte blaue Augen?«
Faith nickte.
» Keine Tattoos?«
» Eine Schlange am Hals.«
Jetzt war es Amanda, die nickte. » Das können wir durchgeben. So kriegen wir mindestens eine Liste mit Hispanos zwischen achtzehn und zwanzig Jahren und mit blauen Augen.« Dann schien ihr etwas einzufallen. » Bei den Tätowierern hatten wir kein Glück. Wer Marcellus Estevez’ Tattoo des Erzengels Gabriel gemacht hat, lebt entweder nicht in diesem Staat oder ist nicht registriert oder redet nicht.«
» Irgendwas an ihm kam mir bekannt vor«, sagte Faith. » Ich dachte, ich hätte ihn mal verhaftet, aber er sagte nein.«
» Ich bin mir sicher, dass er da die Wahrheit gesagt hat.« Amanda holte ihr BlackBerry heraus und fing an zu tippen. » Ich lasse jemanden im Archiv deine Berichte durchsehen. Ich kenne jemanden im APD , der durchs Hintertürchen an die Fälle kommt, die du noch für sie bearbeitet hast.«
» Ich bezweifle, dass sich da irgendwas findet.« Faith massierte sich die Schläfen. » Er ist in Jeremys Alter. Vielleicht kennt er ihn. Vielleicht waren sie miteinander in der Schule. Ich weiß es nicht.«
Amanda schickte die E-Mail ab. » Hast du Jeremy gefragt?«
Faith nickte. » Ich
Weitere Kostenlose Bücher