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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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immer nicht. Evelyn hatte sie dazu gebracht, alles aufzuheben, weil sie wusste, dass Faith sie eines Tages mehr als alles andere, von Emmas Sachen einmal abgesehen, schätzen würde.
    Sie schaute ihre Mutter an. » Es tut mir so leid.«
    Evelyn schaute wieder zu dem Toten hinunter, zur Glock. Faith wusste nicht, was ihre Mutter von ihr wollte. Er war mindestens fünf Meter von ihr entfernt.
    » Ich habe dich was gefragt.« Er blieb stehen. Jetzt stand er in der Mitte des Zimmers, Evelyn gegenüber. Die Tec-9 war direkt auf Evelyns Kopf gerichtet. » Gib mir eine Antwort.«
    Die Wahrheit wollte Faith ihm nicht sagen, deshalb nannte sie ihm den letzten Hinweis, der für sie das Bild vervollständigt hatte. » Du hast die Locken vertauscht.«
    Sein Grinsen ließ ihr Blut erstarren. Erst an diesem Morgen war es Faith klar geworden, dass Jeremys Haarlocke nicht mit der Zeit nachgedunkelt war. Die babyblaue Schleife, die die Locke zusammenhielt, war anders als die, die Jeremys Locke zusammenhielt. Die Ränder waren noch scharfkantig, nicht ausgefranst wie die bei Jeremys Schleife, die Faith in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft gerieben hatte wie einen Talisman.
    Das Besteck. Die Stifte. Die Schneekugeln. Sara hatte recht. So etwas tat ein Kind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Als Faith den Mann in der Toilette zum ersten Mal gesehen hatte, war sie so darauf fixiert gewesen, sich an seine Beschreibung zu erinnern, dass sie überhaupt nicht verarbeitete, was sie sah. Er war in Jeremys Alter. Er war ungefähr so groß wie Faith. Er kaute auf der Unterlippe, wie Jeremy es tat. Er hatte Zekes herrisches Auftreten. Und er hatte Evelyns blaue Augen.
    Die gleiche Mandelform. Das gleiche dunkle Blau mit grünen Einsprengseln.
    Faith sagte: » Deine Mutter hat dich offensichtlich geliebt. Sie hat eine Haarlocke von dir aufbewahrt.«
    » Welche Mutter?«, fragte er, und diese Frage überrumpelte Faith.
    Hatte Evelyn all diese Jahre eine Locke von ihm aufbewahrt? Faith stellte sich ihre Mutter im Krankenhaus vor, wie sie ihr Baby in den Armen hielt und wusste, dass es das letzte Mal war. Hatte Amanda daran gedacht, eine Schere zu besorgen? Hatte sie Evelyn geholfen, eine Strähne abzuschneiden und sie in eine blaue Schleife zu binden? Hatte Evelyn sie die letzten zwanzig Jahre aufgehoben und sie immer mal wieder hervorgeholt, um die weichen, feinen Haare zwischen ihren Fingern zu spüren?
    Natürlich hatte sie das getan.
    Man gab ein Kind nicht auf, ohne für den Rest des Lebens jeden Tag, jeden Augenblick daran zu denken.
    Er fragte: » Willst du nicht mal meinen Namen wissen?«
    Faith zitterten die Knie. Sie wollte sich hinsetzen, aber sie wusste, sie konnte sich nicht bewegen. Sie stand in der Wohnzimmertür. Die Küchentür war links von ihr. Die Haustür war hinter ihr. Der Flur war rechts. Und an dessen Ende lag das Bad. Hinter diesem Bad waren Will und sein Colt AR -15A2 und seine Schießkünste, wenn sie diesen Mistkerl nur dazu bringen könnte, zu ihr zu kommen.
    Er hielt die Waffe, ganz der Gangster, wieder horizontal, als er sie auf sie richtete. » Frag mich nach meinem Namen.«
    » Wie heißt du?«
    » Wie heißt du, kleiner Bruder. «
    Sie schmeckte Galle auf der Zunge. » Wie heißt du, kleiner Bruder?«
    » Caleb«, sagte er. » Caleb. Ezekiel. Faith. Schätze, Mommy steht auf Bibelnamen.«
    Das tat sie wirklich, und darum war Jeremys zweiter Vorname Abraham und Faith’ Taufname war Hannah. Warum hatte Faith ihre Tochter Emma genannt, anstatt die Tradition ihrer Mutter zu wahren? Evelyn hatte Elizabeth oder Esther oder Abigail vorgeschlagen, aber Faith war stur geblieben, weil sie es nicht anders kannte.
    » Hier ist auch er aufgewachsen, nicht?« Caleb schwenkte die Waffe, um auf das Haus zu deuten. » Dein teurer Jeremy?«
    Faith hasste den Klang des Namens ihres Sohns aus seinem Mund. Am liebsten hätte sie ihn mit der Faust zurück in seine Kehle gestopft.
    » Hat ferngesehen. Bücher gelesen. Spiele gespielt.« Die Türen des Regalunterschranks standen offen. Ohne Faith aus den Augen zu lassen, riss er die Brettspiele heraus und warf sie auf den Boden. » Monopoly. Mensch ärgere dich nicht. Mühle.« Er lachte. » Tut mir ja so leid.«
    » Was willst du von uns?«
    » Mann, du klingst wie sie.« Er drehte sich wieder Evelyn zu. » Hast du nicht genau das zu mir gesagt, Mommy? ›Was willst du von mir, Caleb?‹ Als könntest du mich auszahlen.« Er starrte Faith wieder an. » Sie hat mir Geld angeboten.

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