Harter Schnitt
Faith musste gar nicht so tun, als hätte sie Angst. Ihre Stimme zitterte, ohne dass sie sich anstrengen musste. » Er hat schon seinen Partner umgebracht. Er hat…«
» Auflegen«, sagte Caleb.
Faith suchte nach der Taste.
» Auflegen!«, schrie er.
Das Handy glitt ihr aus der Hand. Faith bückte sich, um es aufzuheben. Dabei dachte sie an den Revolver an ihrem Knöchel. Der S&W fühlte sich an ihren Fingern kalt an.
» Nein!«, schrie Evelyn. Ihr Mund hatte sich so weit geöffnet, dass das Klebeband abgegangen war. Caleb rammte ihr die Waffe in die Rippen. Mit der freien Hand drückte er gegen ihr gebrochenes Bein.
» Nein!« Evelyn kreischte. Faith hatte noch nie ein menschliches Wesen ein solches Geräusch machen hören. Dass es von ihrer Mutter kam, war, als würde eine Hand direkt in ihre Brust greifen und ihr Herz herausreißen.
» Aufhören!«, flehte Faith, stand auf und streckte die Hände aus. » Bitte, aufhören! Bitte, einfach nur– aufhören!«
Caleb lockerte den Griff, behielt aber die Hand dicht über dem Bein. » Schieb die Waffe rüber. Langsam, sonst ist die Schlampe tot.«
» Okay.« Sie kniete sich hin. Ein Zittern durchlief ihren Körper. » Ich tu, was du sagst. Ich tu genau, was du sagst.« Sie zog das Hosenbein hoch, nahm dann die Waffe mit Daumen und Zeigefinger aus dem Holster. » Tu ihr nicht mehr weh. Schau.«
» Locker«, warnte er. Sie schob die Waffe schräg über den Boden und hoffte, dass Caleb dorthin zurückgehen würde, wo er gestanden hatte. Er ließ die Waffe an sich vorbeischlittern, blieb neben Evelyn stehen.
Er sagte: » Versuch so was nicht noch mal, du blöde Kuh.«
» Mach ich nicht«, sagte Faith. » Versprochen.«
Er stützte die Tec-9 auf die Sessellehne, doch so, dass die Mündung auf Evelyns Kopf zeigte. Das Klebeband baumelte an ihrem Mund. Er riss es weg.
Sie sog tief die Luft ein. Der Atem rasselte in ihrer gebrochenen Nase.
Er warnte sie: » Gewöhne dich nicht zu sehr daran, saubere Luft einzuatmen.«
» Lass sie gehen.« Evelyns Stimme war heiser. » Du willst nicht sie. Sie hatte keine Ahnung. Sie war doch noch ein Kind.«
» Ich war auch mal Kind.«
Evelyn hustete Blutspritzer. » Lass sie einfach gehen, Caleb. Bestrafen willst du doch mich.«
» Hast du je an mich gedacht?« Er hielt ihr die Waffe an den Kopf, während er sich neben sie kniete. » Die ganze Zeit mit ihrem blöden, kleinen Baby, hast du da je an mich gedacht?«
» Ich habe nie aufgehört, an dich zu denken. Kein Tag verging, ohne…«
» Blödsinn.« Er stand wieder auf.
» Sandra und Paul haben dich geliebt wie ihr eigen Fleisch und Blut. Sie haben dich angebetet.«
Er wandte den Blick ab. » Sie haben mich angelogen.«
» Sie wollten doch immer nur, dass du glücklich bist.«
» Sehe ich jetzt glücklich aus?« Er deutete zu dem Toten auf dem Boden. » Alle meine Freunde sind nicht mehr da. Ricky, Hiro, Dave– alle. Ich bin der Letzte, der noch steht.« Jetzt schien er aus der Rolle zu fallen. » Mein falscher Vater ist tot. Meine falsche Mutter ist tot.«
Evelyn sagte: » Ich weiß, dass du bei ihrer Beerdigung geweint hast. Ich weiß, dass du Paul geliebt hast und…«
Er schlug ihr mit der offenen Hand auf den Hinterkopf. Faith bewegte sich, ohne nachzudenken. Er drehte die Waffe in ihre Richtung, und sie erstarrte.
Sie schaute wieder zu ihrer Mutter. Evelyns Kopf war auf ihre Brust gesunken. Blut tropfte ihr aus dem Mund. » Ich habe dich nie vergessen, Caleb. Irgendwo in deinem Herzen weißt du das.«
Er schlug sie noch ein wenig fester.
» Aufhören«, flehte Faith. Sie wusste nicht, ob sie es zu ihrer Mutter oder zu Caleb sagte. » Bitte hör einfach auf.«
Evelyn flüsterte: » Ich habe dich immer geliebt, Caleb.«
Er hob seine Waffe und schlug ihr mit dem Griff gegen die Schläfe. Die Wucht des Schlags warf den Stuhl um. Evelyn krachte hart auf den Boden. Sie schrie vor Schmerz auf, als sich ihr Bein verdrehte. Die Schiene aus Besenstielen zerbrach. Ein Knochen ragte aus ihrem Oberschenkel.
» Mama!« Faith stürzte auf sie zu.
Ein Zischen war zu hören. Holz spritzte vom Boden hoch.
Faith erstarrte. Sie wusste nicht, ob sie getroffen worden war. Sie sah nur ihre Mutter am Boden und Caleb, der mit geballter Faust über ihr stand. Er trat nach Evelyn. Heftig.
» Bitte aufhören«, flehte Faith. » Ich verspreche…«
» Schnauze.« Er schaute zur Decke hoch. Zuerst erkannte Faith das Geräusch nicht. Es war ein Hubschrauber. Die Rotorblätter
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