Harter Schnitt
berührte mit dem Finger seine Stirn. » Sie hat ihm direkt zwischen die Augen geschossen.«
» Muss einen guten Grund dafür gehabt haben.«
» Wenn ich diesen Grund nur kennen würde. Er hatte keine Waffe in seiner Hand.«
» Der andere schon. Derjenige, der in den hinteren Garten rannte und auf die Mädchen schoss.«
» Richtig. Der hatte eine.«
» Fingerabdrücke?«
» Wir arbeiten daran.«
Will würde sein Haus verwetten, dass sie zwei Fingerabdrucksätze finden würden– einen von dem Asiaten und einen vom Mexikaner. » Wo haben Sie den dritten Mann gefunden?«
» Wäschekammer. Kugel im Kopf. Fieser Schuss, hat ihm den halben Schädel weggerissen. Wir haben eine Achtunddreißiger aus der Wand gepult.«
Faith’ Glock war Kaliber 40. » Ist die S&W eine Achtunddreißiger?«
» Ja.« Leo stieß sich vom Auto ab. » Bis jetzt noch nichts von der Mutter. Wir haben Teams draußen, die nach ihr suchen. Sie war Leiterin des Drogendezernats, aber ich glaube, das weißt du bereits, Ratatouille.«
Will zwang sich zu einer entspannten Miene. So ziemlich das Einzige, was Leo gut konnte, war, die richtigen Knöpfe zu drücken. Das war der Grund für die bösen Blicke und die feindseligen Körperhaltungen von Wills Kollegen in Blau. Jeder hier anwesende Polizist wusste, dass Will Trent der Grund war, warum Evelyn Mitchell in den Vorruhestand gezwungen worden war. Gegen korrupte Polizeibeamte zu ermitteln war so ziemlich die abscheulichste Pflicht, die er beim GBI hatte. Vor vier Jahren hatte er überzeugende Beweise gegen Evelyns Drogentruppe zusammengestellt. Sechs Detectives wanderten ins Gefängnis, weil sie bei Verhaftungen bei Drogendelikten Geld abgezweigt hatten und sich auch hatten bestechen lassen, um wegzuschauen, doch Captain Mitchell war ungestraft davongekommen, ihre Pension und der Großteil ihres guten Rufs waren intakt geblieben.
Leo sagte: » Sag dem Mädchen, ich kann ihr maximal noch zehn Minuten geben, aber dann muss sie sich zusammenreißen und mit mir reden.« Er trat einen Schritt näher. » Ich habe den Notruf und die Reaktion der Telefonzentrale gehört. Sie hatte den Befehl, draußen vor dem Haus zu bleiben. Sie muss schon sehr gut erklären, warum sie trotzdem hineingegangen ist.«
Leo wandte sich zum Gehen, aber Will fragte ihn: » Wie klang sie?«
Er drehte sich um.
» Bei ihrem Notruf. Wie klang sie da?«
Es war keine Überraschung, dass Leo darüber noch gar nicht nachgedacht hatte. Jetzt tat er es, und dann fing er schnell an zu nicken. » Vielleicht ein bisschen ängstlich, aber klar im Kopf. Ruhig. Selbstbeherrscht.«
Will nickte ebenfalls. » Das klingt genau nach Faith.«
Leo grinste, aber Will konnte nicht sagen, ob er erleichtert war oder nur seine übliche Rolle als Klugscheißer spielte. » Das mit den Shorts habe ich ehrlich gemeint, Mann.« Leo gab ihm einen Klaps auf den Arm. » Du solltest versuchen, diese hübschen Beine ins Fernsehen zu bringen.«
Leo winkte den Reportern zu, die am gelben Absperrband standen. Sie schoben sich sofort nach vorn, weil sie glaubten, er würde eine Erklärung abgeben. Und sie stöhnten kollektiv auf, als er einfach davonging. Die Polizisten, die am Band standen, drängten sie zurück, einfach nur, weil sie es konnten. Will wusste, dass ihnen die Kontrolle der Leute ziemlich egal war. Immer wieder wanderten ihre Blicke zum Kommandozentrum, als würden sie jeden Augenblick eine Verlautbarung von ganz oben erwarten. Die Polizisten waren ebenso begierig darauf wie die Reporter, endlich herauszufinden, was passiert war. Vielleicht sogar noch mehr.
Captain Evelyn Mitchell hatte neununddreißig Jahre im Dienst des Atlanta Police Department gestanden. Sie hatte es auf dem steinigen Weg nach oben geschafft, sich aus dem Sekretariat zur Parkuhr-Ableserin und dann zur Verkehrspolizistin hochgearbeitet und schließlich mit zweiundzwanzig Jahren eine Marke erhalten, die nicht mehr aus Plastik war. Sie gehörte zu einer Gruppe Frauen, die sich dadurch einen Namen gemacht hatten, dass sie immer die Ersten waren: die erste Frau, die allein fuhr, der erste weibliche Detective. Evelyn war der erste weibliche Lieutenant in der Polizei von Atlanta, dann der erste weibliche Captain. Was auch die Gründe für ihre Frühpensionierung gewesen sein mochten, sie hatte mehr Orden und Anerkennungsschreiben erhalten als alle am Tatort versammelten Polizisten zusammen.
Will hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass unter Polizisten generell blinde
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