Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
Live-Berichterstattung der Lokalsender. Amanda Wagner krönte die Kakophonie, da sie seit fünfzehn Minuten alle drei anwesenden Bereichskommandanten anschrie. Der Polizeichef von Atlanta war unterwegs. Ebenso der Direktor des GBI. Der Streit um Zuständigkeiten würde nur noch heftiger werden.
    Unterdessen arbeitete niemand wirklich an dem Fall.
    Will schob die Tür auf. Sonnenlicht fiel in den dunklen Innenraum. Einige Sekunden hörte Amanda auf zu schreien, drehte aber wieder auf, als Will die Tür schloss. Er atmete tief die frische Luft ein und betrachtete vom Absatz der Metalltreppe aus die Szene. Im Gegensatz zur gewohnten hektischen Aktivität nach einem schockierenden Verbrechen warteten hier alle auf Befehle. Detectives saßen in ihren zivilen Fahrzeugen und kontrollierten ihre E-Mails. Sechs Streifenwagen blockierten jedes Ende der Straße. Nachbarn standen gaffend auf ihren Veranden. Der Spurensicherungstransporter des Atlanta PD war da. Der Spurensicherungstransporter des GBI war da. Der Löschzug stand noch immer schräg vor dem Mitchell-Haus. Die Sanitäter saßen rauchend auf der hinteren Stoßstange ihres Krankenwagens. Verschiedene uniformierte Beamte lehnten an Einsatzfahrzeugen, unterhielten sich und taten so, als sei ihnen das, was im Kommandozentrum ablief, völlig gleichgültig.
    Trotzdem schafften es alle, Will böse anzustarren, als er auf die Straße trat. Mürrische Gesichter waren zu sehen. Arme wurden verschränkt. Einer fluchte. Ein anderer spuckte auf den Bürgersteig.
    Im Atlanta Police Department hatte Will nicht viele Freunde.
    Der Lärm von Rotorblättern erfüllte die Luft. Will schaute nach oben. Zwei Medien-Hubschrauber schwebten über dem Tatort. Sie würden nicht mehr lange allein sein. Alle zehn Minuten knatterte ein SWAT MD 500 vorbei. Unter der Nase des moskitogleichen Helikopters war eine Infrarotkamera montiert. Die Kamera konnte durch dichten Wald und Hausdächer sehen, spürte warmblütige Körper auf und führte so die Suchmannschaften zu den bösen Jungs. Es war ein erstaunliches Gerät, aber völlig nutzlos in einem Wohngebiet, wo sich in jeder Minute Tausende Menschen bewegten, ohne ein Verbrechen zu begehen. Im besten Fall zeichnete die Kamera wahrscheinlich die rot leuchtenden Umrisse von Menschen auf, die auf ihren Sofas saßen und in Fernseher starrten, die wiederum den SWAT -Hubschrauber zeigten, der über der Szene schwebte.
    Will sucht die Menge nach Sara ab, er wünschte sich, sie würde bald kommen. Wenn er überhaupt gedacht hätte, als Amanda ihn mitten auf der Straße abpasste, hätte er Sara wahrscheinlich gleich gebeten mitzukommen. Er hätte voraussehen müssen, dass Faith Hilfe brauchte. Sie war seine Partnerin. Will war verpflichtet, sich um sie zu kümmern, ihr den Rücken zu decken. Jetzt könnte es schon zu spät sein.
    Er wusste nicht genau, wie Amanda so schnell von der Schießerei erfahren hatte, aber fünfzehn Minuten, nachdem der letzte Schuss gefallen war, waren sie bereits vor Ort gewesen. Der Schlosser öffnete eben die Schuppentür, als sie vor dem Haus hielten. Faith war auf und ab gelaufen wie ein Tier im Käfig, während sie darauf wartete, dass ihr Kind befreit wurde, und sie ging auch weiter auf und ab, als Emma schon längst in ihren Armen lag. Kaum hatte sie Will gesehen, fing sie schon an zu plappern und redete über ihre Nachbarin Mrs. Johnson, ihren Bruder Zeke, den Schuppen, den ihr Vater gebaut hatte, als sie noch klein war, und eine Million anderer Dinge, die absolut keinen Sinn ergaben, so wie sie sie aneinanderfügte.
    Anfangs hatte Will geglaubt, Faith hätte einen Schock, aber Menschen unter Schock rennen nicht herum und plappern wie Verrückte. Ihr Blutdruck sackt so rapide ab, dass sie meistens gar nicht stehen können. Sie keuchen wie Hunde. Sie starren ins Leere. Sie sprechen langsam, nicht so schnell, dass man sie kaum versteht. Bei Faith spielte sich etwas anderes ab, aber Will wusste nicht, ob es ein mentaler Zusammenbruch oder ihr Diabetes oder sonst etwas war.
    Schlimmer war noch, dass zu diesem Zeitpunkt zwanzig Polizisten herumstanden, die alle ganz genau wussten, wie ein Mensch auszuschauen hatte, dem etwas Schlimmes passiert war. Faith passte nicht in dieses Profil. Sie weinte nicht. Sie zitterte nicht. Sie war nicht wütend. Sie war einfach nur verrückt, völlig von Sinnen. Nichts, was sie sagte, ergab irgendeinen Sinn. Sie konnte ihnen nicht sagen, was passiert war. Sie konnte ihnen nicht den Tatort zeigen

Weitere Kostenlose Bücher