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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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den sich die meisten Menschen vorstellten, wenn sie an die Vereinigten Staaten dachten.
    Dieser Streifen kam den Land der unbegrenzten Möglichkeiten viel näher als die goldbraunen, wogenden Getreidefelder des Herzlands. Die Menschen konnten hierherkommen mit kaum mehr als Arbeitsmoral und sich ein solides Mittelklasseleben aufbauen. Soweit Will sich erinnerte, war die Demographie hier einem ständigen Wandel unterworfen. Die Weißen beschwerten sich, als die Schwarzen einzogen. Die Schwarzen beschwerten sich, als die Hispanos einzogen. Die Hispanos beschwerten sich, als die Asiaten einzogen. Eines Tages würden sie alle über den Zuzug von Weißen murren. Das Hamsterrad des amerikanischen Traums.
    Amanda fuhr auf den Mittelstreifen, der als Abbiegespur für beide Fahrtrichtungen des Highways diente. Will sah ein Gerüst mit einer ganzen Reihe von übereinander aufgehängten Schildern. Einige Schriftzeichen waren unlesbar, eher Kunstwerke als Buchstaben.
    » Ich hatte den ganzen Vormittag ein Auto vor Ling-Lings Laden stehen. Keine Besucher.« Amanda drückte das Gaspedal durch und hätte beinahe einen Minivan gerammt, als sie die Kurve nahm. Hupen plärrten, aber sie fuhr ungerührt fort: » Ich habe gestern Abend ein paar Leute angerufen. Roger wurde letzten Monat ins Coastal überstellt. Davor hatte man ihn sechs Monate lang in Augusta, aber jetzt ist er mit seinen Medikamenten gut eingestellt, deshalb hat man ihn wieder in das Höllenloch zurückgeschickt.« Das Augusta Medical Hospital bot psychiatrisch-medizinische Grundversorgung für Gefängnisinsassen an. » Rogers erster Tag im Coastal endete mit einem unschönen Vorfall unter Beteiligung einer Seife in einer Socke. Offensichtlich ist er nicht sehr glücklich mit seiner neuen Unterkunft.«
    » Wollen Sie anbieten, ihn verlegen zu lassen?«
    » Falls es nötig ist.«
    » Werden Sie Boyds Namen nennen?«
    » Das dürfte keine gute Idee sein.«
    » Was glauben Sie, was Roger uns geben wird?« Will schlug sich im Geiste auf die Stirn. » Sie glauben, er steckt hinter Evelyns Entführung.«
    » Auch wenn er klinisch geisteskrank ist, ist er doch nicht so blöd, so etwas zu tun.« Sie warf Will einen bedeutungsvollen Blick zu. » Roger ist extrem intelligent. Schach, nicht Dame. Er hat nichts davon, wenn er Evelyn entführt. Das würde seine ganze Organisation spalten.«
    » Okay, dann glauben Sie also, Roger weiß, wer dahintersteckt?«
    » Wenn Sie was über ein Verbrechen erfahren wollen, fragen Sie einen Verbrecher.« Ihr Handy klingelte. Sie schaute auf die Nummernkennung. Will spürte, wie das Auto langsamer wurde. Amanda fuhr an den Straßenrand. Sie meldete sich, hörte zu und drückte dann auf den Knopf der Zentralverriegelung. » Kann ich mal einen Augenblick ungestört sein?«
    Will stieg aus dem SUV . Tags zuvor war das Wetter spektakulär gewesen, jetzt war es bewölkt und schwül. Er ging zum Ende der Einkaufsstraße. Kurz vor der Einfahrt gab es ein Restaurant. Aus dem Schaukelstuhl, der auf das Schild gemalt war, schloss er, dass es sich um einen Laden mit ländlicher Küche handelte. Komischerweise knurrte bei dem Gedanken an Essen sein Magen nicht. Das Letzte, was er zu sich genommen hatte, war eine Schüssel mit Instant-Maisgrütze gewesen, die er heute Morgen hinuntergewürgt hatte. Sein Appetit war verschwunden, und das hatte er bis jetzt erst ein Mal in seinem Leben erlebt– als er das letzte Mal mit Sara Linton zusammen gewesen war.
    Will setzte sich auf den Bordstein. Autos rauschten an ihm vorbei. Musik dröhnte. Ein Blick zu Amanda sagte ihm, dass sie eine Weile brauchen würde. Sie gestikulierte mit den Händen, und das war noch nie ein gutes Zeichen.
    Er holte sein Handy heraus und blätterte durch die Nummern. Er sollte Faith anrufen, aber er hatte nichts Neues zu berichten, und ihr Gespräch gestern Abend hatte kein gutes Ende gefunden. Was mit Evelyn passiert war, machte die Sache nicht gerade besser. Was für trickreiche verbale Manöver Amanda auch anstellte, es gab doch einige harte Fakten, um die sie nicht herumreden konnte. Falls die Asiaten es wirklich auf den Drogenmarkt der Texicanos abgesehen hatten, dann musste Evelyn Mitchell im Zentrum des Ganzen stehen. Hector mochte ein Autohändler gewesen sein, aber er trug dennoch das Tattoo, das ihn mit der Gang verband. Er hatte dennoch einen Cousin im Gefängnis, der diese Gang anführte. Sein Neffe war in Evelyns Haus erschossen worden, und Hector selbst hatte tot in Evelyns

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