Hartmut und ich: Roman
stehen, dessen Decken nicht mal genug Platz zum Aufrechtgehen lassen und dessen Flure wie grob in die Erde gehauene Stollen wirken. Hartmut nickt. »Ja, gut, aber selbst wenn niemand hier den Keller betritt, ich meine, also … ja Herrschaftszeiten, wir wohnen auf einer Bombe!!!«
Es klingt fast komisch, wie theatralisch er das sagt. Als müsse er mir etwas weidlich Empörendes mitteilen, dessen Tragweite nur er erkennen kann. Ich frage noch mal: »Was machen wir jetzt?«
»Na anrufen!«, sagt Hartmut.
»Anrufen«, bestätige ich nachdenklich.
Am nächsten Morgen ist die Nachbarschaft abgeriegelt, und selbst die tätowierten Kriegsveteranen aus der Frittenbude haben sich überreden lassen, ihr Geschäft kurz zu unterbrechen. Wir stehen neben ihnen hinter der Absperrung ein paar Straßen weiter; wir wollen wie sie in der Nähe sein, falls die Entschärfung misslingen sollte, und nicht irgendwo bei Kaffee und Kuchen in einer Turnhalle sitzen. Die Veteranen schimpfen leise, dass sie wegen solcher Peanuts jetzt Verkaufsausfälle haben, es ist die bestgehende Pommesbude in Bochum, und ob denn hier niemand von den Zivilisten im Krieg gewesen sei. Neben ihnen stehen Herr Häußler und Frau Klein, die Nachbarn aus den anliegenden Häusern, denen Hartmut allerdings keine Geschenkbüchlein gebracht hat. Sie hörten das erste Mal von uns als von denen, die dafür verantwortlich sind, falls neben »dem Schandfleck« auch die schönen Häuser des Viertels in Schutt und Asche liegen sollten. »Dass die den alten Schrott im Keller nicht einfach ruhen lassen können«, höre ich Frau Klein zischeln, »fünfzig Jahre lang war doch auch nix!«
Zu meinen Füßen steht der Karton mit den 350 Playstation-Spielen. Ich soll verflucht sein, wenn ich die in den Trümmern zurücklasse. Hans-Dieter hockt neben uns und krault seine Katze, Kirsten ist im Dienst, und das Gothic-Pärchen von oben war gestern Nacht noch mit uns unten und hat Fotos von der Bombe gemacht. Sie hatten keinerlei Angst, sondern zeigten sich eher fasziniert von dem Gedanken, zwei Jahre lang auf einer Fliegerbombe gelebt zu haben.
Ich wende mich gerade zu Hartmut, um ihm etwas zu sagen, als ein ohrenbetäubender Lärm das Gemurmel der Leute durchbricht. Für eine Sekunde ist Stille, dann fängt Frau Klein an zu schreien, und Herr Häußler rennt als Erster die Polizeibarriere über den Haufen, hysterisch »Mein Haus, mein Haus!« brüllend, das er schon im Geiste unter den Trümmern unserer Hütte begraben sieht. Ich denke zuerst an den toten Entschärfer der Bombe und dann daran, dass das schöne neue Leben mit Hartmut in einer WG nun doch nicht gelingen sollte. »Warum auch?«, denke ich plötzlich bitter, »warum auch sollten wir dieses Glück haben?« Dann packt Hartmut mich an der Jacke und zieht mich schweigend hinter sich her. Als wir um die Ecke biegen, sind die Kriegsveteranen und Herr Häußler schon da. »O nein, o nein, o nein«, jammern die Veteranen, als wollten sie so etwas nie wieder sehen, während der Bombenentschärfer mit einem erstaunten Gesicht zwischen Stolz und Überraschung aus unserem intakten Haus heraustritt und die in Fetzen hängenden Fenster der Frittenbude betrachtet, aus denen kleine Flammen züngeln, die von der eigentlich wegen der Entschärfung bereitgestellten Feuerwehr zügig gelöscht werden. »Ich hab das Gas nicht abgestellt«, klagt einer der Veteranen aus der Frittenbude. »O nein, o nein, o nein, ich hab das Gas nicht abgestellt!« Frittierölpfützen glitzern auf dem Bürgersteig.
Zwei Wochen später liege ich wieder in der Wanne. Es ist Samstag, und ich habe die alten Playstation-Magazine rausgekramt. Ich blättere in den Artikeln, als Hartmut ins Bad kommt.
»Irgendwelche Hiobsbotschaften?«, frage ich.
Hartmut schüttelt den Kopf und stellt grinsend eine stinkende, mit grauem Papier umwickelte Schale auf meine Wannenablage. Doppelte Pommes Spezial. Kein Geruch ist vergleichbar.
»Die Bude ist wieder ganz, sah schlimmer aus, als es war, neulich«, sagt er. »Geht aufs Haus!«
Ich lächele, entblättere meine von Mayo und Ketchup durchsetzten Zwiebelpommes, sinke mit der Schale in der Hand tiefer in die Wanne und fühle mich endlich zu Hause.
DER ROSENMANN
Ich finde das ja albern. Aber Hartmut wollte es so. »Diese Frau kannst du nur mit Romantik rumkriegen, ganz klassisch, da muss jedes Wort sitzen. Das ist wie ein Schauspiel, und ich will ein guter Darsteller sein, also brauche ich einen Souffleur.« Und so sitze
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