Hartmut und ich: Roman
ich nun an der Bar des Restaurants nahe dem Durchgang zur Toilette und spiele den Souffleur. Hartmut sitzt hinten in einer gemütlichen Ecke, den Blick in meine Richtung und seine Angebetete vor sich. Er musste erst ein einziges Mal aufs Klo, um sich einen rhetorischen Rat abzuholen. Er ist wirklich gut. Es ist nicht mal zehn, und die beiden spielen schon gegenseitig mit ihren Fingern über dem Tisch. Ab und zu senkt sie neckisch den Kopf und tut verschämt, dann hebt sie langsam wieder den Blick, verstärkt das Fingerspiel und lächelt über ihre kleine Nase hinweg. Hartmut ist heute gut drauf. Das muss man ihm lassen.
Er hatte aber auch alles perfekt vorbereitet. Die richtigen Zitate rausgesucht, die er spontan in den Raum werfen konnte, um seine Gefühle zu unterstreichen. Herausgefunden, wo sie gerne hingeht, und den Chef des Restaurants gebeten, genau zum Hauptgang im Hintergrund ihre Lieblingsplatte aufzulegen. Leise genug, dass sie es nicht sofort merkt. Laut genug, dass es ihr sachte ins Bewusstsein steigt und dieses langsam ansteigende Erstaunen einsetzt, das dann in Strahlen und den planungsgemäß ersten Kuss übergeht. Wo gibt es schon einen Mann, der sich so viel Mühe gibt?
Nach dem Essen würde er sie zum See führen, an seine geheime Lieblingsstelle. Die kleine Lichtung am Rand des Wäldchens, das plätschernde Wasser, Mondlicht, die Sterne. Wir hatten extra nachgeschaut auf allen Wetter-Seiten im Internet: Diese Nacht würde wolkenlos und sternklar. Im Restaurant riecht es sanft nach Weißweinsauce, der Hauptgang nähert sich und ich nehme meinen dritten Scotch. Es fühlt sich gut an, wenn alles perfekt läuft, selbst wenn man nur Souffleur ist.
Doch dann geschieht, was wir nicht eingeplant hatten. Der Rosenmann! Strahlend betritt er das Restaurant, mit einem pakistanischen Lächeln und einem riesigen Strauß Rosen. Ich sehe ihn zuerst, und ich weiß sofort, was zu tun ist. Niemals darf der Rosenmann den hinteren Tisch mit Hartmut und seiner Angebeteten erreichen. Denn wenn es etwas gibt, das ein Rendezvous mit Sicherheit zerstört, dann ist es der Rosenmann. Als Gentleman kannst du einfach nichts richtig machen, wenn der Rosenmann vor dir steht und fragt, ob du für eine wunderschöne Frau nicht eine wunderschöne Rose kaufen willst, denn dein Problem ist, dass du die wunderschöne Frau erst seit einer Woche kennst. Die Rosenmann-Situation aber gehört zu den anspruchsvollsten Herausforderungen für Paare; sie sind der sicherste Test, ob zwei Menschen wirklich eine Beziehung haben, in der nicht mehr jeder Satz ein Abtasten an der Laune des anderen und ein Umschiffen des roten Knopfes ist, sondern in der eine wahrhafte Symbiose entsteht, eine Verbindung, die selbst den Terror des Rosenmannes überstehen kann. Solche Paare haben für diesen Fall schon eine gemeinsame Taktik entwickelt und machen sich einen großen Spaß daraus. Mal kauft er die Rose für fünf Euro und gibt noch fünf als Trinkgeld dazu, wirft sich dann vor sie und sagt, dass diese Rose ihn nun endgültig überzeugt hätte, ihr den Antrag zu machen. Gemeinere Paare verwickeln den Rosenmann in ein floristisches Gespräch über Pflanzenzüchtung und Pestizide, und akademische Beziehungsteams beginnen plötzlich, die Kulturgeschichte der Rose abzuklappern, bis der Rosenmann entnervt und ohne Profit weiterzieht. Doch Hartmut und seine Angebetete gehören nicht zu diesen Paaren, bei denen eine lange gemeinsame Zeit mit dem Erreichen jenes Stadiums zusammenfallen muss, in dem man nicht mehr nur keinen Souffleur, sondern auch kein Theater mehr braucht. Kurzum: Der Rosenmann muss weg. Und ich bin plötzlich kein Souffleur mehr, sondern ein Ablenker. Ich muss den Rosenmann ablenken. Ich muss ihn aufhalten. Ich stehe von meinem Hocker auf und gehe auf ihn zu. »Achmed!«, rufe ich, weil ich nicht weiß, wie Pakistaner heißen, und öffne meine Arme. »Mensch, alter Kumpel, wie lang ist das jetzt her?!« Mein Geschrei und die Tatsache, dass ich die Bar verlassen habe, lassen Hartmut aufsehen. Er bemerkt den Rosenmann. Er verschluckt sich an der Weißweinsauce und sagt etwas, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. »Was? Wie? Ich kenne Sie nicht!«, sagt der Rosenmann.
»Doch, klar, weißt du nicht mehr? E-Technik-Studium, viertes Semester, Fachschaft?« Ich höre mich sagen, dass wir zusammen E-Technik studiert hätten, weil ich bei dem Namen Achmed an Terroristen denke. So ticke ich also, wenn ich nervös bin und mich nicht
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