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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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heruntergezogene Rouleau. Die Frau neben ihm liegt zusammengerollt unter der Decke, zwischen ihm und dem Fenster. Ihr Haar spült im Sonnenlicht rot, braun, golden, weiß und schwarz übers Kissen. Er lächelt erleichtert und stützt sich auf einen Ellenbogen und küßt ihre schwere, schlaffe Wange und bewundert die kräftige Poren struktur. Ihr Gesicht ist verschmiert mit blassen rosa Streifen, und er sieht, wie schlecht er sie gewaschen hat in der Dunkelheit. Er rückt sich wieder in die Lage zurecht, in der er geschlafen hat, aber er hat in den letzten Stunden zuviel geschlafen. Als suche er die Pforte zu einem neuen Traum, streckt er den Arm über die kleine Entfernung hin zu ihrem nackten Körper aus und wandert mit der Hand breite Hänge auf und nieder, die warm sind wie frisch gebackener Kuchen. Sie hat ihm den Rücken zugekehrt. Er streichelt sie in träger Entrücktheit; sie erwacht, ohne einen Muskel zu bewegen, nur ihre Lider zucken, aber das sieht er ja nicht. Erst, als sie einen tiefen Atemzug tut, sich reckt und sich zu ihm herumdreht, weiß er, daß sie seine Liebkosungen gespürt hat.
    Und wieder lieben sie sich, im Morgenlicht, mit wolkigen Mündern. Ihre Brüste: seidige Säcke voll Milch, die flach hinfließen über ihr gefurchtes Rippengefüge. Die Brustwarzen: verschrumpfte braune Knospen. Ihr Wald: ein metallfarbener Schaum. Die Nacktheit ist fast zu groß; sein Orgasmus ist winzig im Verhältnis zu der Fülle glänzender Haut, und er fragt sich, ob sie den ihren wohl vortäuscht. Sie sagt: nein, nein, es sei zwar anders jetzt, aber doch sehr gut. Wirklich sehr gut. Er kriecht wieder unter die Decke in seiner Scham, während sie auf bloßen Füßen umhertappt und sich anzieht. Ulkig, sie zieht erst den Büstenhalter an und dann den Schlüpfer. Als sie in das Höschen steigt, wird er sich ihrer Beine als zwei getrennter Dinge bewußt: als zwei mächtiger, rosaschaukelnder Walzen, die sich zu den Fesseln hin ver schmälern. Und einen tieferen rosa Schimmer bekommen von der gegenseitigen Reflexion, wenn sie sich bewegen. Daß sie seine beobach tenden Augen duldet, schmeichelt ihm, läßt ihn sich zu Haus fühlen. Sie sind einander vertraut geworden.
    Kirchenglocken dröhnen. Rabbit rutscht auf Ruths Bettseite hinüber und sieht den sonntäglich gekleideten Menschen zu, wie sie in die Kalksteinkirche gehen, deren erleuchtetes Fenster ihn in den Schlaf gelullt hat. Er streckt den Arm aus und zieht das Rouleau ein paar Zentimeter höher. Die Fensterrose ist dunkel jetzt, und über dem Turm, über Mt. Judge, gleißt die Sonne in blauem Feld. Der Turm wirft einen Schatten, ein kühles, stumpiges Negativ, in dem ein paar Männer stehen, mit Blumen an den Revers, und sich unterhalten, indes die gewöhnlicheren Schafe der Herde gesenkten Kopfes ins Portal hinein traben. Der Gedanke, daß diese Leute den kühnen Einfall gehabt haben, ihre Behausungen zu verlassen und hierherzukommen, um zu beten, wiegt Rabbit in froher Sicherheit, und er schließt die Augen und senkt den Kopf, aber nur sehr wenig, damit Ruth es nicht merkt. Hilf mir, lieber Gott. Vergib mir. Führ mich auf den rechten Weg. Beschütze Ruth, Janice, Nelson, meine Mutter und meinen Vater, Mr. und Mrs. Springer und das ungeborene Baby. Vergib Tothero und all den andern. Amen. Er öffnet seine Augen wieder dem Tag und sagt: «Das ist aber eine ganz schön große Gemeinde.»
    «Sonntagmorgen», sagt sie, «ich möchte jeden Sonntagmorgen in Grund und Boden verdammen.»
    «Warum denn?»
    Aber sie macht nur «puh!», als wüßte er die Antwort. Sie sieht ihn da liegen und ernst zum Fenster hinausschauen und denkt ein bißchen nach und sagt dann: «Ich hatte mal einen Kerl hier, der weckte mich um acht Uhr auf, weil er um halb zehn in der Sonntagsschule unterrichten mußte.»
    «Du glaubst an nichts?»
    «Nein. Du etwa?»
    «Mhm, ja. Ich nehme an.» Ihre ätzende Sicherheit macht ihn zögern. Er überlegt, ob er wohl lügt. Wenn er lügt, dann hängt er mitten im Nichts, und diese Vorstellung höhlt ihn ganz aus, läßt sein Herz zittern. Drüben auf der ändern Straßenseite gehen ein paar Leute in ihren besten Kleidern an der verwitterten Backsteinfassade entlang. Gehen sie spazieren? Ihre Kleider, sie haben ihre besten Kleider angezogen, und er klammert sich taumelnd daran; das scheint ihm ein sichtbarer Beweis für eine unsichtbare Welt.
    «Wenn du glaubst, was hast du dann eigentlich hier zu suchen?» fragt sie.
    «Warum soll ich nicht hier

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