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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Unter der geschlossenen Badezimmtertür sickert Licht hervor und gibt der Dunkelheit im Schlafzimmer eine leise Färbung. Die spritzenden Geräusche da hinter der Tür erinnern Rabbit an die Zeit, als er noch ein Kind war und abends aufwachte, wenn seine Eltern nach oben kamen und den Wasserhahn aufdrehten; er wußte dann, daß Dunkelheit bald das ganze Haus einhüllen und erst das Morgenlicht wieder seine Sinne berühren würde. Er schläft, als Ruth, wie ein Faun im Mondlicht und frisch gewaschen, zu ihm zurückkriecht, mit einem Glas Wasser in der Hand.
    Und während er schläft, hat er einen deutlichen Traum. Er und seine Mutter und sein Vater und noch ein paar andere sitzen um den Küchen tisch. In der alten Küche noch. Ein Mädchen sitzt dabei, es trägt einen schweren Schmuck am Handgelenk und streckt einen sehr langen Arm über den Tisch und dreht am Knauf des hölzernen Kühlschranks, und ein eisiger Hauch weht Rabbit an. Das Mädchen hat an dem viereckigen Kasten die Klappe geöffnet, hinter der der Eisblock hockt. Da ist er, zollweit von Harrys Augen entfernt, schief vom Schmelzen, aber im mer noch groß, und innen in seiner metallschwarzen Masse ist die weiße Unterteilung, die die Blöcke alle haben, wenn sie in der Rinne heruntergepoltert kommen von der Eisfabrik. Er beugt sich näher hin zu dem kalten Hauch des Eisblocks, zu dem kalten Blechgeruch, der vom Metall herrührt, mit dem die Innenwände des Kastens ausgeschla gen sind und aus dem die Rippen auf der Bodenfläche bestehen und das so eine köstliche nilpferdgraue Farbe hat und dieselbe Fleckenkrank heit wie Linoleum. Und als Rabbit sich jetzt so nah hingebeugt hat, sieht er, daß unter der wässerigen Haut Hunderte von klaren weißen Äderchen sich verschlingen, wie die Kapillaren in einem Blatt; ganz so, als setze Eis sich auch aus lebenden Zellen zusammen. Und noch tiefer innen, er sieht's mit gespenstischer Deutlichkeit, hängt eine ausgezack te Wolke, ein Gebilde wie der sich entfaltende Stern bei einer Explo sion, sein Mittelpunkt ist nicht zu erkennen, die Strahlenbrechung verdeckt ihn, aber seine Arme strecken sich schnurgerade, wie lange Kratzspuren, vom bleichen Herzen bis in alle Winkel und Flächen des Würfels. Die rostigen Rippen, auf denen der Block liegt, blecken wie ein gezahntes Grinsen durchs Eis in Rabbits Augen. Angst umkrallt ihn. Der kalte Block ist lebendig.
    Seine Mutter redet mit ihm. «Mach die Klappe zu.»
    «Ich hab sie nicht aufgemacht.»
    «Ich weiß.»
    «Sie hat es getan.»
    «Ich weiß. Mein guter Junge tut niemandem was.» Das Mädchen am Tisch spielt mit einem Stück Brot, und mit schrecklicher Schwere dreht die Mutter sich zu ihr herum und schilt sie. Das Schelten hört nicht auf, geht sinnlos weiter, wieder und wieder dasselbe, ein endloser Strom von Worten wie ein Bluten tief innen. Er selber blutet, er. Sein Mitleid mit dem Mädchen dehnt sein Gesicht, bis es sich anfühlt wie eine riesige weiße Schüssel. «Ein Kleinkind ißt manierlicher als diese Hure», sagt die Mutter.
    «He, he, he!» schreit Rabbit und steht auf, um seine Schwester zu verteidigen. Die Mutter weicht spöttisch zurück. Sie stehen auf dem schmalen Streifen zwischen den beiden Häusern. Nur er und Janice Springer. Er versucht, ihr das mit seiner Mutter zu erklären. Janices Augen starren demütig auf seine Schulter. Als er die Arme um sie legt, sieht er, daß ihre Augen blutunterlaufen sind. Ihrer beider Gesichter sind sich nicht sehr nahe, aber doch kann er fühlen, wie heiß ihr Atem ist von Tränen. Sie stehen draußen hinter der Jugendhalle von Mt. Judge, im Gras, auf dem zertrampelten nackten Boden, zwischen den herumliegenden kaputten Flaschen; durch die Mauern sickert Lautsprechermusik zu ihnen heraus. Janice trägt ein rosa Tanzkleid und weint. Er wiederholt, und sein Herz ist starr, daß seine Mutter ihn hat treffen wollen, aber das Mädchen weint weiter, und ihr Gesicht gerät ins Rutschen zu seinem Entsetzen, die Haut gleitet langsam von den Knochen herunter, aber da sind gar keine Knochen, sondern nur ir gendeine Substanz, die auch im Schmelzen begriffen ist; er hält seine Hände darunter, wölbt sie zu einer Schale, will das Ganze auffangen und an seinen Platz zurückdrücken; in zähem Strom fließt es in seine Handteller, und die Luft wird weiß von seinem Schrei.
    Was so weiß ist, das ist das Licht. Das Kopfkissen sticht ihm grell in die Augen, und Sonnenstrahlen projizieren die Flecken im Fensterglas auf das

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