Hasenherz
scheuern wie ein Stein. Aber in der ganzen grünen Welt tut nichts so wohl wie die Gutartigkeit einer Frau. Das Straßenpflaster knirscht unter seinen Soh len, als er zum Laden rennt in seinem schmutzigen Hemd. Was magst du denn? Er hat sie. Er weiß, er hat sie.
Er kommt mit acht Würstchen in Zellophan zurück, mit einem Paket Gefrierbohnen, einem Paket Gefrier-Pommes frites, einem Viertelliter Milch, einem Rosinenbrot, einem Käse in roter Zellophanhülle und, zuoberst in der Tragtüte, einem Kuchen. Alles zusammen hat zwei Dollar dreiundvierzig gekostet. Ruth packt die Tüte in ihrer winzigen bunten Küche aus und sagt: «Du scheinst ja ein ziemlich mäßiger Esser zu sein.»
«Ich wollte Lammchops haben, aber er hatte nur Würstchen und Salami und Haschee in Büchsen.»
Während sie mit Kochen beschäftigt ist, stöbert er in ihrem Wohn zimmer herum und findet ein paar Taschenkrimis auf dem Ablegebrett unter einem Tisch. Der Bursche vom Bett nebenan in Fort Hood hat sowas immer gelesen. Ruth hat die Fenster aufgemacht, und die kühle Märzluft wird prickelnd, als er an die Backofentemperatur von Texas denkt. Die trübbraunen, gepunkteten Musselingardinen blähen sich; ihre durchsichtige Haut füllt sich mählich mit Luft, und sie bauschen sich Rabbit entgegen, wie er dasteht, gefangen in einer andern Erinnerung, einer viel süßeren. Sein Elternhaus, als er noch Kind war, die Sonntagszeitungen, die auf dem Fußboden raschelten, sanft bewegt vom leisen Nachmittagswehen, die Mutter, die in der Küche mit dem Geschirr klapperte. Wenn sie fertig war, trieb sie alle zu einem Spaziergang an: Pop, Rabbit und die kleine Miriam. Aber sie gingen nicht weit, weil sie ja die Kleine bei sich hatten: bis zur alten Kiesgrube vielleicht, deren Grund winters mit einer Eisdecke bespannt ist; wenn die schmilzt, entsteht ein See von wenigen Zoll Tiefe, in den stürzt sich die steile Grubenwand, und durch die Spiegelung wird sie doppelt hoch. Aber es ist ja nur Wasser. Sie gehen ein Stückchen am Abgrund entlang, und von diesem neuen Winkel aus gesehen, spiegelt der Teich die Sonne. Das täuschende Bild auf den Kopf gestellter Klippen ist ausge löscht, und das Wasser sieht so starr aus wie Eis im Licht. Rabbit hält die kleine Mim fest bei der Hand. «He!» ruft er Ruth zu. «Ich habe eine fabelhafte Idee. Wir gehen heut nachmittag spazieren!»
«Spazieren! Ich spazier schon genug.»
«Laß uns von dieser Seite aus auf den Berg raufgehn.» Er kann sich nicht erinnern, den Berg jemals von der Brewer-Seite aus angegangen zu haben. Vorfreude durchrieselt ihn, und als er sich, begeistert von seinem Einfall, wegwendet von den Gardinen, hebt riesiges Glockenge dröhn an. Ja, das machen wir», ruft er zur Küche hin, «bitte!» Unten, auf der Straße, strömen die Menschen aus der Kirche, und in sich gekehrt halten sie grüne Zweige in der Hand.
Als Ruth das Essen aufträgt, sieht er, daß sie eine bessere Köchin ist als Janice: sie hat die Würstchen heiß gemacht, ohne sie zerplatzen zu lassen. Bei Janice kommen sie immer zerrissen und verrenkt auf den Tisch, mit klaffenden rosa Mündern, die von einem Zipfel bis zum andern reichen und gellend herausschreien, daß sie die Folgen einer Marterung sind. Sie sitzen an einem kleinen Porzellantisch in der Küche, Ruth und er. Als er die Gabel nimmt, fällt ihm plötzlich sein Traum ein und das grauenvolle Gefühl, das er gehabt hat, als Janices Gesicht ihm in die Hände tropfte, und diese Erinnerung verdirbt ihm den ersten Bissen, macht ihn zu etwas Entsetzlichem, trotzdem sagt Rabbit: «Großartig», geht entschlossen seinem Teller zu Leibe, ißt und gewinnt auch den Appetit zurück. Auf Ruths Gesicht vor ihm spiegelt sich die weiße Grobkörnigkeit der Tischfläche; ihre breite Stirn glänzt, und die beiden Pickelchen neben der Nase sehen aus wie Spritzer, die von etwas Verschüttetem zurückgeblieben sind. Sie scheint zu spüren, daß sie keinen Reiz mehr hat, und ißt mit unterwürfigen, hastigen, kleinen Bewegungen; es ist, als wolle sie sich hinter ihnen verstecken.
«He», sagt er.
«Was?»
«Das Auto steht noch immer da hinten in der Cherry Street.»
«Es steht gut da. Die Parkuhren laufen sonntags nicht.»
«Schon, schon, aber morgen.»
«Verkauf es.»
«Häh?»
«Verkauf den Wagen. Komm rasch zu Geld.»
«Nein … ich meine …, oh, du meinst, für dich. Hör zu, ich hab noch dreißig Dollar, warum nimmst du die nicht von mir?» Er greift an seine
Weitere Kostenlose Bücher