Hassbluete
getrunken«, fügte Mom dann noch hinzu. »Lisa und ich haben beschlossen, morgen Abend ins Kino zu gehen, in den Spätfilm.« Okay, Mom. Was hat das eine mit dem anderen zu tun und warum erzählst du mir das alles? Ich rollte innerlich mit den Augen. Im Flur ließ ich meinen Rucksack fallen und ging erst mal in die Küche, um etwas zu trinken und zu überlegen, was ich mit dem Rest des Nachmittags anfangen sollte. Mom hatte sich gleich wieder auf den Balkon unter die Markise verzogen. »Ich geh noch mal weg«, rief ich ihr zu. »Warte nicht mit dem Abendessen auf mich«, warf ich spaßeshalber noch hinterher. Mom war nicht wie Mikes Mutter, eher das komplette Gegenteil.
Ich könnte noch eine Tour unternehmen zu dem Partyplatz an der Berkel oder zum Baggersee. Bei dem Wetter war da sicherlich der eine oder andere anzutreffen. Für den Keller war es einfach zu schön, auch wenn dort die Chancen am größten waren, Mike anzutreffen – wenn er denn seiner Mutter entkommen konnte. Manchmal kam Mike nachmittags in den Keller und setzte sich als Erstes ohne ein weiteres Wort an das Schlagzeug, das der ehemalige Mieter des Kellers dagelassen hatte. Dann trommelte er mindestens eine Viertelstunde wie ein Wahnsinniger und es war klar, dass er erst mal Frust abladen musste. Zum Glück war der Raum schallisoliert.
»Scherzkeks«, lachte Mom. »Vielleicht koch ich ja tatsächlich was.« Sie fragte nicht, was ich vorhatte.
Ich kam gut mit meiner Mutter klar. Sie war nicht so wahnsinnig fürsorglich, aber das passte mir eigentlich ganz gut, da ich ja ständig bei Mike mitkriegte, wie nervig so eine Glucke sein konnte. Meine Mom kochte nicht und sie machte sich nur selten Sorgen, weil Sorgenmachen im Unterschied zum Wünschen noch nie geholfen hatte. Das war jedenfalls ihre Meinung.
Auch abwärts nahm ich den Aufzug.
Am Fahrradständer im Hof sah ich schon wieder Robin. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Ich blieb am Hinterausgang stehen und beobachtete ihn durch die Guckscheibe. Die Müllcontainer aus stumpfem Aluminiumstahl waren inzwischen durch verschiedenfarbige aus Kunststoff ersetzt worden und drohten, jetzt wie Eis in der Sonne zu schmelzen.
Robin sah immer wieder hektisch auf die Uhr und blickte sich ein paarmal um, ob ihn jemand beobachtete. Dann riss er sein Fahrrad aus dem Ständer und sauste aus der Einfahrt. Ich stieß die Tür auf und beeilte mich hinterherzukommen. Diesmal würde ich ihm direkt folgen. Was Besseres hatte ich ohnehin nicht vor. Er hatte es offenbar eilig, guckte sich kein einziges Mal um. Eine leichte Sommerbrise wehte von vorn in seine offene Jacke und ließ ihn aussehen wie einen riesengroßen Marienkäfer, der seine Flügel hob, um loszufliegen. Nur dass es keine roten Flügel mit schwarzen Punkten waren, sondern welche, die wie zwei Apfelsinenschalen aussahen.
Mit dem Rad bog er am Deep Blue Sea ab, die einzige Disco in der Nähe, die tagsüber wie eine Eckkneipe funktionierte. Seit dem Rauchverbot mussten sich die Trinker auch tagsüber zeigen, wenn sie Lust auf eine Zigarette hatten. Sie sahen aus wie Nachtfalter, zu grau und zu blass für so viel Sonne, die umsonst für sie schien und sie bald in ihre dunkle Höhle zurücktreiben würde.
Robin fuhr die Straße am Fußballplatz und am Kinderspielplatz vorbei. Beide waren vollkommen ausgestorben, nicht mal ein Krabbelkind, das sich Sand in den Mund stopfte. So etwas war hier äußerst riskant. Nie wussten die Eltern eines spielenden Kindes, ob nicht irgendein Köter seine Hinterlassenschaft in dem Sand verbuddelt hatte. Aber das war bestimmt nicht der Grund, warum man nur noch selten Leute auf dem Spielplatz sah. Es war einfach gähnend langweilig dort, keine Action, keine Unterhaltung, gar nichts!
Jetzt bog Robin in Richtung U-Bahn-Station ab, parkte das Rad neben einem Zeitungsständer, schloss ab und lief die Treppe hinunter. Er achtete gar nicht mehr auf seine Umgebung, sodass ich nicht besonders aufpassen oder Abstand halten musste. Ich stellte mein Rad an der anderen Seite der Zeitungskästen ab. Auch hier posaunten die Schlagzeilen alle dasselbe in die triste Gegend hinaus:
Das Motiv für den Amoklauf in Elbdetten lag weiterhin im Dunkeln. Der Schuldirektor wollte künftig Taschenkontrollen anordnen.
Ich ließ nur das Klappschloss am Hinterrad einrasten, mehr Zeit hatte ich nicht, wenn ich Robin nicht verlieren wollte. Ich nahm die Rolltreppe und sprang immer zwei Stufen auf einmal hinunter.
Es war so einfach, die leuchtende
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