Hassbluete
Türhälften schlossen sich hinter ihm, als hätten sie ihn geschluckt. Einen Moment lang schien mir dieser Augenblick wie endgültig. Was wohl in dieser Tasche gewesen war und was er damit wollte?
Ich überlegte kurz und lief dann zu Mike, um ihm das Ganze zu erzählen. Mikes Vater, der aussah wie ein zu groß gewordener Zwerg, machte mir die Haustür auf. Er war Handelsvertreter für Klinkersteine, wie man an den Außenwänden des Bungalows unschwer erkennen konnte.
»Michelle«, sagte er und lächelte. »Du willst bestimmt zu Mike. Aber wir essen gleich. Du magst doch bestimmt was mitessen!?« Meine Antwort wartete er gar nicht ab, sondern öffnete stattdessen die Tür noch etwas weiter und verbeugte sich galant.
»Danke«, sagte ich und musste lachen. Im Wohn-Ess-Zimmer lümmelte Mike auf dem Sofa und guckte Das Camp , während seine Mutter den Esstisch deckte. Als sie mich sah, nahm sie sofort einen weiteren Teller aus dem Schrank und stellte ihn neben Mikes auf den Tisch. Er musterte mich nur kurz, sagte Hi.
Ich ließ mich neben ihn fallen und starrte eine Weile auf den Bildschirm. Dort überschütteten sie gerade jemanden mit lebenden Kakerlaken. Ähh, war das ekelig! Und da sollte man dann gleich noch Appetit auf Hähnchen und Reis haben? »Was guckst du dir so einen Scheiß an?«, fuhr ich Mike etwas heftiger an als beabsichtigt. »Musst ja nicht mitgucken«, antwortete er, ohne den Blick von den Kakerlaken zu wenden. Ich wollte mit ihm über Robin reden und seinen merkwürdigen Ausflug zum Bahnhof heute Nachmittag, aber vor seinen Eltern ging das nicht. Ständig kam seine Mutter aus der Küche rein und sein Dad saß am Tisch und las den Spiegel, hörte dabei aber mit Sicherheit alles, was er hören wollte. Ich musste warten, bis wir später in seinem Zimmer alleine waren.
»So, wir essen jetzt. Mach die Kiste aus, Mike«, forderte Evelyn Saalfeld nach weiteren fünf Minuten Kakerlaken-Regen im Camp .
Als alle ihren Hähnchenschenkel auf dem Teller hatten, begann Mikes Mutter mit dem altbekannten Verhör, dass ich jedes Mal über mich ergehen lassen musste, wenn ich bei den Saalfelds zum Essen war. Evelyn versuchte, so ganz »unauffällig« ein paar Informationen über meine Mutter, die Nachbarn oder sonst wen einzuholen, die ihr bis jetzt entgangen waren oder bewusst vorenthalten wurden.
»Du bist doch bestimmt oft bei den Richters zum Abendessen«, sagte sie und es schwang mit, dass sie genau wusste, dass das nicht der Fall war. »Du und deine Mutter«, ergänzte sie schnell, so als wollte sie damit sagen: Ihr Hausbewohner gluckt doch sowieso immer nur zusammen.
»Ähh, nee. Eher nicht«, sagte ich. »Also eigentlich nie.«
Aus irgendeinem Grund meinte Mikes Mutter, sich jetzt verteidigen zu müssen. »Also, hier bist du jederzeit willkommen, wenn Mike nicht gerade lernen muss!«, fügte sie mit einem bedeutungsvollen Blick hinzu.
»Ich weiß«, sagte ich und schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln. Mike grinste und verdrehte die Augen.
»Was gibt es da zu grinsen, Mike?«, fragte seine Mutter.
»Ich hab Michelle nur angelächelt«, behauptete Mike großspurig.
»Aber du hast doch was?«, sagte Evelyn.
»Jetzt lass die Kinder doch mal in Ruhe essen«, brummte Mikes Vater.
»Genau«, sagte Mike und grinste, als seien sein Pa und er die coolsten Kumpels und sowieso immer einer Meinung.
»Du hältst dich da raus«, keifte seine Mutter zurück und an ihren Mann gewandt: »Wieso musst du dich eigentlich immer gegen mich stellen?«
»Ich sage nur meine Meinung, außerdem ist dein Gekeife manchmal nicht mehr zu ertragen! Wieso können wir nicht einmal in Ruhe essen?«, erwiderte er.
»Jetzt bin ich wieder an allem schuld, ja?«
»Ja, weil du immer wieder irgendwelche Diskussionen vom Zaun brechen musst.«
Evelyn wusste scheinbar einen Moment lang nicht mehr, was sie antworten sollte. Sie starrte ihren Mann böse an. Dann wandte sie sich an mich, guckte bedauernd und sagte: »Entschuldige Michelle. Hier geht es nicht immer so zu.«
»Doch«, mischte Mike sich wieder ein. »Genau so geht es hier immer zu. Jeden Abend das gleiche Theater. Könnt ihr euch nicht mal normal verhalten? Wenn das so weitergeht, ziehe ich nächsten Monat aus!«
»Du bist erst siebzehn, mein Lieber«, triumphierte seine Mutter.
»Na und?«, brüllte Mike, sprang auf, kippte seinen Stuhl um und stürmte aus dem Zimmer und die Treppe rauf. Kurz darauf hörte man seine Tür knallen, dass die Kristallgläser in der
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