Hasstament
kurzen Einblick in die Grundlagen des Hassismus geben, um so einen Zugang zur hassistischen Glaubensgemeinschaft zu schaffen.
Ich bin im Sommer 2010 zur Hatenight gekommen. Zuvor war mir Serdar Somuncu schon durch seine Lesereise mit Hitlers Mein Kampf aufgefallen, mit der er für viel Wirbel sorgte. Außerdem kannte ich seine Bühnenperformance, die sich weder in das Genre der Comedy noch des klassischen Kabaretts einordnen lässt und mich besonders durch seine alternativen Stand-up-Nummern ansprach.
Ich registrierte mich schon bald auf der Hatenight -Seite (www.hatenight.com) und war gleich fasziniert von dem sich mir öffnenden Konzept, entrichtete meine »Abhassgebühr« und kaufte mir damit eine zertifizierte Identität als Hassist. Die ersten beiden Monate schaute ich mich quer durch die vorhandenen Videos im Archiv. Parallel begann ich im Internet zu recherchieren, was genau es mit diesem aggressiven Ansatz – Hassismus – auf sich hat. Ich las dazu viele Interviews und schaute mir einige der Auftritte von Serdar Somuncu in Talkshows und auf der Bühne an.
Ich erkannte damals – es ist auch allzu offensichtlich –, dass hinter den Schimpftiraden eine grandiose darstellerische Qualität und ein wohl durchdachtes und perfekt umgesetztes künstlerisches Konzept stecken müsse. Dieses Konzept – den Hassismus – vollkommen zu erfassen, es bis in seine letzte Konsequenz zu erforschen, daran arbeite ich im ständigen Selbstbezug bis heute.
Von Hitler bis Hassias – laut unseres Propheten eigener Aussage waren es die Erfahrungen seiner Lesereise mit Hitlers Mein Kampf , die den Grundstein zur Idee des Hassismus und zur Figur des Hassias legten. Somuncu war zuvor nämlich sechs Jahre lang in 1428 Lesungen auf Lesereise mit dem bis heute wohl am meisten mystifizierten Buch der deutschen Geschichte. Während der intensiven Beschäftigung Serdar Somuncus mit dem »deutschen Trauma« entstand die Idee zu einem satirischen Gegenentwurf einer pseudodemokratischen Diktatur mit humoristischem Dogma und selbstironischem Welteroberungsanspruch. Die gleichzeitige Konfrontation mit Neonazis, die dieser Ideologie heute weiter anhängen und sogar so weit gehen, Serdar Somuncu Gewalt anzudrohen, so dass er auf seiner Lesereise oftmals nur mit kugelsicherer Weste und unter Polizeischutz auftreten konnte, setzten in ihm die Saat zu dem Konzept eines kreativen Widerstandes in Form des Hassismus.
Dabei war die Lesereise mit Mein Kampf nur der Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit Meinung, ihren Machern, ihrer Korru(m)ption und ihrem Missbrauch. Die folgenden Lesungen von Goebbels Sportpalastrede bis zu seinem Bühnenprogramm BILD lesen, vertieften diesen Ansatz.
Der rote Faden in seiner Arbeit ist seitdem der Umgang mit Information und ihrer Verarbeitung. Die Frage danach, wo und wer die Verführer sind, damals und heute.
Irgendwann in dieser Zeit muss es »klick« gemacht haben und die Idee Intoleranz, Inkonsequenz und Unmenschlichkeit zu antizipieren, sie vorwegzunehmen und wiederzugeben, muss als künstlerisches Konzept herangereift sein.
Bis zur Geburt der Figur des Hassias gingen noch einige Jahre ins Land, doch in der Zeit der Lesereise mit Hitlers Mein Kampf und den Folgeprogrammen muss Serdar Somuncus Gehirn befruchtet worden sein mit der Vorstellung, eine Figur zu erschaffen, die ein besserer Nazi ist als der Nazi auf der Straße und nebenan.
Serdar Somuncu entwickelte so seine Rolle des Hassias. Die Figur eines maßlos aggressiven Hasspredigers fußt dabei auf der Anwendung der »immanenten Dekonstruktion«, einer von Somuncu entwickelten Technik, die darauf basiert, dass sich jede extreme Kraft nur zerstören lässt von extremeren Kräften, die ihr ohnehin innewohnen. Und so gibt es für ihn auch keine pseudomoralischen Grenzen und für den Zuschauer keine Relativierung. Thematisch bedient sich Somuncu eines breiten Themenspektrums gerade heikler Gegenstandsbereiche, nimmt dabei immer wechselnde Positionen und Perspektiven ein, verschweigt nichts und wechselt so von der Rolle des anklagenden Opfers in die des anklagbaren Täters. Stattdessen agiert und agitiert er, über die bloße Reaktion hinausgehend, antizipierend, wütend und doch zugleich aufklärerisch. Zudem treibt er dieses Spiel eben nicht als Kritiker von außen, sondern schert aus dem Inneren der Herde als hassistischer Wolf im Proletentum-Schafpelz gekleidet aus, um diese von dort her auseinanderzutreiben.
So erlangen er und wir
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