Hastings House
Auge vorzustellen. Die Kisten standen ein Stück rechts vom Ofen. Zwischen ihnen und der Wand versteckte sie sich, das Messer in der einen, die Laterne in der anderen Hand, und dann wartete sie … und wartete …
Alles war ruhig. Bis auf einmal …
Das Schluchzen! Sie drehte sich um und sah in die Richtung, aus der das Schluchzen kam, doch da der Raum pechschwarz war, konnte sie natürlich nichts sehen. Ihr fiel ein, wie Joe die Wand nach einem verborgenen Mechanismus abgetastet hatte, und in der Dunkelheit folgte sie nun seinem Beispiel.
Plötzlich gab einer der Mauersteine nach. Verblüfft zog sie die Hände zurück und hielt inne, dann suchte sie erneut nach dem Stein und konnte ihn sogar noch tiefer eindrücken. Ihre Hand stieß auf etwas Kaltes, Metallisches. Sie tastete es mit den Fingern ab und versuchte sich vorzustellen, was es sein könnte. Schließlich drückte sie fester dagegen, und ein lautes Knarren erfüllte den Kellerraum.
Die gesamte Wand setzte sich ächzend und knirschend in Bewegung. Leslie stand da und schluckte erschrocken. Der Schwall abgestandener Luft, der ihr entgegenschlug, ließ sie ahnen, was sich jetzt vor ihr befand – dort, wo gerade noch die massive Wand gestanden hatte. Das Geräusch war allerdings so laut, dass es sogar Tote aufwecken konnte. Wenn tatsächlich ein Mörder ins Hastings House gekommen war, dann musste er es gehört haben, und das hieß für Leslie, dass sie nicht nach oben zurückgehen konnte.
Es gab nur eine Richtung für sie.
Vorwärts.
Jemand war im Haus. Adam Harrison wusste es, noch bevor er die Stimme aus dem Erdgeschoss hörte. Als weder Leslie noch Nikki auf den Ruf des Fremden reagierten, beschloss Adam, auf Nummer sicher zu gehen. Er schlich durch den Flur im ersten Stock, holte seine Waffe und kehrte zur Treppe zurück.
Plötzlich hörte er in der Dunkelheit jemanden flüstern.
“Adam?”
Es war Nikki.
Bevor er antworten konnte, war von unten Lärm zu hören. Er lief die Treppe hinunter und konnte im Dunkeln eine schattenhafte Gestalt sehen, die mit einem unsichtbaren Gegner zu kämpfen schien.
“Stehen bleiben, oder ich schieße!”, rief Adam.
Die Gestalt stolperte aus dem Haus, Adam rannte hinterher.
“Nicht, Adam!”, rief Nikki ihm nach. “Lass ihn laufen. Wir rufen die Polizei!”
“Nein! Bis die kommt, ist er über alle Berge!”, erwiderte Adam, ohne anzuhalten.
Als er aus dem Haus stürmte, wurde ihm bewusst, dass sich Nikki direkt hinter ihm befand.
“Shit!”, brüllte Nelson.
Joe drehte sich um und fragte sich, ob es klug von ihm gewesen war, mit einem Anfänger loszuziehen.
Doch diesmal war das Gesicht des jungen Mannes schmerzverzerrt.
“Was ist passiert?”
“Mein verdammter Knöchel. Ich bin auf dem Gleis umgeknickt. Verfluchter Mist!”
“Kommen Sie, ich stütze Sie”, sagte Joe.
“Ich kann nicht weitergehen, tut mir leid.”
“Schon gut, ich bringe Sie hier raus.”
“Nein, auf keinen Fall – Sie gehen weiter.”
“Ich soll Sie in einem abgelegenen Tunnel zurücklassen?”
“Ich habe meine Taschenlampe. Das Funkgerät nützt hier unten nichts, aber die Taschenlampe funktioniert wenigstens. Schicken Sie nur einfach so schnell wie möglich Hilfe.” Er zuckte zusammen. “Ich meine es ernst. Mir passiert schon nichts, suchen Sie lieber nach der Frau.”
Joe nickte. “Okay. Sobald ich kann, schicke ich jemanden zu Ihnen.”
“Ein guter Plan. Und jetzt gehen Sie schon.”
Nach kurzem Zögern ließ Joe den Polizisten allein zurück.
Leslie knipste ihre Laterne an. Schließlich gab es in dieser abgeschiedenen Dunkelheit keinen Grund, es nicht zu tun. Von oben hörte sie Schritte, vielleicht von Nikki oder Adam … vielleicht aber auch nicht.
Schnell durchschritt sie die entstandene Öffnung und warf einen Blick auf die Tür. Riegel und Scharniere hätten eigentlich völlig verrostet sein müssen, doch das war nicht der Fall. Wann hatte man diese Tür bloß eingebaut?
Es konnte nur während des Bürgerkriegs geschehen sein, als das Haus Teil der Underground Railroad war. Sie befand sich nicht in einem U-Bahn-Tunnel, sondern in einem anderen Gang, der aber möglicherweise zu einem U-Bahn-Tunnel führte.
Sie drückte die Geheimtür so gut wie möglich zu, dann hielt sie die Laterne hoch und sah in die Richtung, in die sie gehen konnte.
Eben wollte sie sich auf den Weg machen, da ließ eine Stimme sie erstarren.
“Leslie? Bist du hier unten? Was zum Teufel ist denn hier los? Im Haus brennt
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