Hasturs Erbe - 15
abstatten und meinem Stammesbruder die letzte Ehre erweisen. Der hohe Klageton der Todesrufe drang heraus und zerrte an meinen ohnehin nur noch fadendünnen Nerven. Marjorie umklammerte verzweifelt meine Finger. Als wir den großen Raum betraten, hörte ich Thyras Stimme in einen Schrei ausbrechen: „Hört mit diesem heidnischen Gejaule aufl Ich will das hier nicht haben!”
Ein paar Frauen brachen mitten in ihrem Klagelied ab. Andere hörten unentschlossen auf, um aufs neue zu beginnen. Beltrans Stimme klang wie ein harter Schrei: „Du, die du ihn umgebracht hast, Thyra, willst du ihm den angemessenen Respekt verweigern?” Sie stand am Fußende des Bettes. Den Kopf hatte sie trotzig zurückgeworfen. Sie klang, als sei sie am äußersten Ende ihrer Duldsamkeit angelangt. „Du abergläubischer Idiot! Glaubst du wirklich, sein Geist sei hiergeblieben, um sich, über seinem Leichnam schwebend, das Gejammere anzuhören? Ist das deine Vorstellung von angemessenen Trauertönen?” Beltran sagte leicht besänftigt. „Angemessener vielleicht als dieser Streit, Pflegeschwester.” Er sah aus, wie man nach einer langen Nachtwache und einem Todesfall aussieht. Er machte eine Handbewegung in Richtung der Frauen. „Geht. Klagt anderswo weiter. Die Tage sind lange schon vorbei, wo man die Dämonen vom Totenbett fortklagen mußte.” Man hatte Kermiac bereits ordentlich aufgebahrt. Die Hände lagen verschränkt über der Brust, die Augen waren geschlossen. Marjorie schlug über seiner Stirn das CristoforoZeichen, dann vor ihrer eigenen. Sie beugte sich nach vom, drückte für eine Sekunde die Lippen auf die Stim des Alten und flüsterte: „Ruhe in Frieden, mein Lord. Heiliger Bürdenträger, gib uns die Stärke, deinen Verlust zu ertragen.” Dann wandte sie sich ruhig ab und beugte sich über die weinende Thyra.
„Er ist jenseits von Vergeben oder Vorwurf, Liebling. Quäle dich nicht so. Wir, die Lebenden, müssen es nun auf uns nehmen. Komm hier weg. Liebes, komm hier fort.” Thyra brach in entsetzliches Schluchzen aus und ließ sich von Marjorie aus dem Zimmer geleiten. Ich blickte hinab auf das ruhige, beherrschte Gesicht. Einen Augenblick erschien es mir, als läge hier mein eigener Vater. Ich bückte mich und küßte die kalte Stim, wie es Marjorie zuvor getan hatte.
Dann sagte ich zu Beltran: „Ich habe ihn nur kurze Zeit gekannt. Es bedeutet für mich einen großen Verlust, daß ich nicht eher hierhergekommen bin.” Ich umarmte meinen Vetter, preßte Wange gegen Wange und fühlte, wie sich mein Kummer mit seinem Schmerz vermischte. Beltran wandte sich bleich und gefaßt ab, als Regis das Zimmer betrat; Danilo folgte auf den Fersen. Regis sprach einen kurzen, förmlichen Kondolenzsatz und streckte die Hand aus. Beltran verbeugte sich, sprach jedoch kein Wort. Hatte sein Kummer seine Höflichkeit ausgelöscht? Er hätte Regis als seinen Gast willkommen heißen müssen. Irgendwie wurde mir unbehaglich, weil er es unterließ. Danilo schlug wie Marjorie zuvor über dem Kopf des alten Mannes das Cristoforo-Zeichen und flüsterte, wie ich vermutete, eines ihrer Gebete und verbeugte sich dann förmlich vor Beltran.
Ich folgte ihnen nach draußen. Regis sah aus, als habe er gleich mir eine Nacht voller Alpträume hinter sich, und war vollständig gegen mich abgeschirmt - etwas Neues und sehr Beunruhigendes. Er sagte: „Er war dein Verwandter, Lew. Es tut mir leid für dich. Und ich weiß, daß mein Großvater ihn respektiert hat. Es trifft sich gut, daß einer von den Hasturs da ist, um unsere Beileidsbekundungen zu überbringen. Jetzt wird sich hier in den Bergen einiges ändern.”
Das war auch mein Gedanke gewesen. Der Anblick von Regis, der fast automatisch seinen Platz als offizieller Vertreter der Comyn einnahm, beunruhigte mich. Ich wußte, daß sein Großvater es begrüßt hätte, aber mich überraschte es.
„Er hat mir kurz vor seinem Tod gesagt, Regis, daß er auf den Tag hoffe, an dem du und Beltran an einem Tisch zusammen eine bessere Zukunft für die Welt planen würdet.” Regis lächelte ausdruckslos. „Das wird wohl Prinz Derik zustehen. Die Hasturs sind zur Zeit nicht die Könige.”
Ich gab ihm ein skeptisches Lächeln. „Aber sie stehen dem Thron am nächsten. Ich habe keinen Zweifel, daß dich Derik zu seinem engsten Berater machen wird, so wie seine Verwandten deinen Großvater wählten.”
„Wenn du mich liebst, Lew, dann wünsche mir keine Krone”, sagte Regis mit einem ablehnenden Schaudern.
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