Hasturs Erbe
rief einen Diener und sagte: »Bitte meinen Onkel, meine Abwesenheit von der Tafel zu entschuldigen, Lord Beltran wird es ihm erklären. Laß Essen für mich und meinen Gast hierherbringen.« Ich wandte mich wieder dem Jungen zu. »Dani, bin ich dein Feind?«
»Kapitän, ich …«
»Ich bin nicht mehr in der Wache«, sagte ich, »und damit auch kein Kapitän mehr.«
Zu meinem Erstaunen sagte er: »Das ist schlimm. Du warst der einzige dort, den jeder leiden konnte. Nein, du bist nicht mein Feind, Lew, und auch deinen Vater habe ich immer für einen Freund gehalten. Es war Lord Dyan – du weißt, was passiert ist?«
»Mehr oder weniger«, antwortete ich. »Was immer es auch dieses Mal gewesen ist, ich weiß verdammt gut, daß zu dem Zeitpunkt, als du den Dolch gezogen hast, er dich genügend provoziert hatte, um dir anderswo Grund zu einem Dutzend Duellen gegeben zu haben. Erspar dir die unangenehmen Einzelheiten. Ich kenne Dyan.«
»Warum hat der Kommandeur …?«
»Sie sind zusammen groß geworden«, sagte ich. »In seinen Augen kann Dyan nichts Falsches tun. Ich will ihn nicht verteidigen, aber hast du nicht auch schon einmal für einen Freund etwas getan, wovon du wußtest, daß es nicht richtig ist?«
»Hast du das?« fragte er. Ich überlegte immer noch nach einer Antwort, als man das Abendessen hereinbrachte. Ich füllte Dani den Teller, merkte aber, daß ich selbst nicht hungrig war und kaute nur an einer Frucht, während der Junge seinen Hunger stillte. Ich fragte mich, ob sie ihm seit seiner Gefangennahme überhaupt schon etwas zu essen gegeben hatten. Nein, Jungen in diesem Alter sind immer hungrig, das war alles.
Während er aß, machte ich mir Sorgen, was Marjorie wohl denken würde, wenn sie allein erwachte. Ging es Rafe wirklich gut, oder sollte ich mich lieber vergewissern? Hatte Kermiac durch Thyras Voreiligkeit ernsthaften Schaden erlitten? Ich war mit Beltrans Reaktion nicht einverstanden, doch ich wußte, warum er sich dazu herausgefordert gefühlt hatte. Wir brauchten jemanden wie Danilo so dringend, daß ich Angst bekam.
Ich goß Dani ein Glas Wein ein, als er zu Ende gegessen hatte. Er nippte nur aus Höflichkeit daran, doch immerhin war er nun gewillt, höflich zu sein. Ich nahm einen Schluck aus meinem Glas und stellte es ab.
»Danilo, du weißt, daß du Laran hast. Du hast aber auch eine der seltensten und kostbarsten Comyn-Gaben, eine, die wir für ausgestorben gehalten haben. Wenn der Rat der Comyn das herausfindet, werden sie bereitwilligst alles unternehmen, um dich für diese dumme und grausame Geschichte, die Dyan dir angetan hat, zu entschädigen. Sie werden dir alles geben, was du nur willst, auch einen Sitz im Rat, wenn es das ist, was du willst, oder eine Heirat mit jemandem wie Linnell Aillard – du nennst deine Wünsche und wirst sie aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllt bekommen. Du warst bei dieser Ratssitzung mit den Terranern dabei. Bist du an Macht interessiert? Wenn dem so ist, werden sie bei dir Schlange stehen, um sie dir anzubieten. Ist es das, was du willst?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er, »ich habe noch nie darüber nachgedacht. Ich denke, wenn ich bei den Kadetten geblieben wäre, wäre ich anschließend ruhig nach Hause zurückgekehrt und hätte mich um meinen Vater gekümmert, solange er noch lebt.«
»Und dann?«
»Auch darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich glaube, ich habe gemeint, wenn diese Zeit käme, wäre ich erwachsen und wüßte, was ich wollte.«
Ich lächelte schief. Ja, mit fünfzehn oder so hatte ich auch geglaubt, wenn man zwanzig wäre, würde sich das Leben von selbst in die richtigen Bahnen lenken.
»Aber so geht es nicht, wenn man Laran hat«, sagte ich, »Unter anderem mußt du ausgebildet werden. Ein nicht ausgebildeter Telepath stellt für sich selbst eine Bedrohung dar, ebenso wie für jeden in seiner Umgebung.«
Er zog eine angeekelte Grimasse. »Ich wollte aber nie Matrixtechniker werden.«
»Vielleicht nicht«, entgegnete ich, »dazu ist auch ein bestimmtes Temperament nötig.« Ich konnte mir Danilo nicht in einem Turm vorstellen. Ich dagegen hatte mir niemals etwas anderes ausmalen können. Ich wollte es immer noch. »Doch du mußt trotzdem lernen, dich und deine Gabe zu kontrollieren. Zu viele der unausgebildeten Telepathen enden im Wahnsinn.«
»Aber ob ich nun am Rat der Comyn interessiert bin oder nicht, welche Wahl bleibt mir schließlich denn? Liegt das Training nicht ausschließlich in den
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