Hasturs Erbe
hinein. Es war einmal eine Futterscheune gewesen. Ein paar verfaulte, von Mäusen angenagte Rüben lagen noch an einer Wand aufgehäuft. Es war bitterkalt, doch immerhin war er hier vor dem Wind geschützt. Regis sattelte das Pony ab, fütterte es und pflockte es locker in einer Ecke der Scheune an. Dann harkte er einiges von dem verschimmelten Futter zusammen, legte seine Decke darauf, kroch hinein und überließ sich wieder dem Schlaf.
Dieser lange Schlaf war eher wie eine Ohnmacht oder eine Art von Tiefschlaf als ein normaler Schlaf. Regis konnte nicht wissen, daß dies bei Telepathen die geistige und körperliche Reaktion auf Krisen war. Es schien ihm nur, daß er in endlosen Alpträumen Ewigkeiten lang umherwanderte – sicher aber einige Tage lang. Manchmal schien er seinen schmerzenden Körper abzustreifen und in grauer, formloser Gestalt zu wandeln. Er stieß hilflose Rufe aus und wußte, daß er keine Stimme hatte. Ein- oder zweimal wurde er beinahe wach und spürte, daß sein Gesicht naß war, wußte, daß er im Schlaf geweint hatte. Die Zeit versank. Er wandelte, nur vage ahnend, was es war, in Vergangenheit und Zukunft: Erst im Schlafsaal von Nevarsin, wo ihn die Erinnerung an Kälte, Einsamkeit und schmerzhafte Frustration wachrüttelte, ängstlich, ohne Freunde, dann am Feuer auf Armida, darauf zusammen mit Lew und einer unbekannten blonden Frau über das Bett eines offensichtlich sterbenden Kindes gebeugt, dann wiederum auf der Wanderung durch dichte Wälder, während sonderbare Fremde sie mit roten Augen aus den Bäumen anstarrten.
Wieder kämpfte er mit dem Messer auf einem schmalen Grat. Die zerlumpten rothaarigen Fremden warfen sich auf ihn und versuchten, ihn hinabzustoßen. Er saß im Ratssaal und hörte die Terraner streiten, in der Wachhalle von Schloß Comyn sah und hörte er, wie Danilos Schwert mit dem entsetzlichen Ton zerspringenden Glases zerbrach. Er blickte mit einem Gefühl tragischen Schmerzes auf zwei kleine Kinder, die Seite an Seite bleich in ihren Särgen lagen, gestorben durch Verrat, so jung, so jung, und wußte, daß es seine eigenen waren. Wieder stand er in der Waffenkammer, taub und vor Scham wie gelähmt, während Dyans Hände über seinen nackten, geschundenen Körper glitten, und dann standen er und Danilo neben dem Springbrunnen auf der Plaza von Thendara, nur war Danilo nun größer und trug einen Bart. Sie tranken aus hölzernen Krügen und lachten, während aus den Fenstern über ihnen Mädchen bunte Blumengirlanden auf sie herabwarfen.
Nach einer Weile begann er, diese unzusammenhängenden Eindrücke kritischer zu filtern. Er sah Lew und Danilo neben einem Kaminfeuer in einem Raum stehen, dessen Boden ein Mosaik mit weißen Vögeln zeigte, und ernsthaft miteinander reden, und er fühlte sich wahnsinnig eifersüchtig. Dann schien ihm, als riefe Kennard seinen Namen durch den grauen, verschwommenen Raum, und er sah ihn in weiter Feme undeutlich vorübertreiben. Kennard war nicht lahm, sondern jung und aufrecht, und er lächelte so, wie Regis ihn kaum einmal lächeln gesehen hatte. Er rief ihn mit zunehmender Dringlichkeit: » Regis, Regis, wo bist du? Versteck dich nicht vor mir! Wir müssen dich finden! « Regis interpretierte es so, daß er ohne Erlaubnis die Wache verlassen hatte und der Kommandeur ihn zurückhaben wollte, um ihn zu bestrafen. Er wußte, daß er sich in den grauen Sphären unsichtbar machen konnte, und das tat er auch; er rannte so schnell er konnte über eine graue, gestaltlose Ebene, wenn er sich auch zu diesem Zeitpunkt voll bewußt war, daß er halb besinnungslos in einer verlassenen Scheune lag. Und dann sah er in dem grauen Raum Dyan, aber Dyan als Jungen in seinem Alter. Irgendwie gewann er die Überzeugung, daß jeder Mensch in dieser grauen Welt, wo es keine Körper gab, sondern nur Gedanken, so erschien, wie er sich selbst sah – daher wirkte auch Kennard so jung und frisch. Dyan sagte: Ich kann ihn nicht finden. Er ist nirgends in der Oberwelt , und Regis merkte, wie er innerlich lachte und sagte: Ich bin hier, aber ich lasse mich hier nicht von euch erwischen . Dann standen Kennard und Dyan dicht nebeneinander und hielten sich bei den Händen, und er wußte, daß sie ihn gemeinsam suchten. Ihre Gesichter und ihre Gestalten verschwanden. Es gab nur noch graue Augen in dem Grau, die ihn suchten, suchten. Er wußte, er mußte die graue Welt verlassen, sonst würden sie ihn finden. Wohin konnte er gehen? Er wollte nicht zurück! In der
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