Hasturs Erbe
stürzte. Regis machte sich zitternd, doch unverletzt wieder auf die Beine, nahm das Tier beim Zügel und zwang es sanft wieder zum Stehen. Seine Hand fuhr an den Beinen des Pferdes entlang. Knochen waren nicht gebrochen, doch das Pony zuckte zusammen, als Regis die rechte Hinterkuppe berührte. Es lahmte, und Regis wußte, daß es sein Gewicht eine Zeitlang nicht würde tragen können. Er führte es am Zügel, als sie den Paß überquerten. Der Weg nach unten war noch steiler, der Boden schwarz und tief, wo die kürzlichen Regenfälle die Überreste von Asche und Holz aufgeweicht hatten. Der Gestank wurde immer schlimmer, rief erneut die Erinnerungen an frühere Feuer und die gemeinsame Angst wach. Er fragte sich immer wieder, warum er es vergessen hatte, warum er sich zum Vergessen gezwungen hatte.
Die Sonne war hinter dichten Wolken verborgen. Stetig, wenn auch nicht dicht, trieben Schneeflocken durch die Luft, als er ins Tal hinabstieg. Regis dachte, es müsse ungefähr Mittag sein. Er war ein wenig hungrig, doch nicht genug, um Rast zu machen und in seinem Bündel nach etwas Eßbarem zu suchen.
Er hatte in der letzten Zeit nicht viel gegessen. Die Dorfbewohner waren freundlich zu ihm gewesen, hatten oft die Bezahlung des Essens verweigert, Essen, das ihm schmeckte, wenn es auch unvertraut war. Oft befand er sich nahe an einer Übelkeit und wollte diesen Reflex durch Kauen und Schlucken nicht wieder herbeiführen. Hunger war weniger unangenehm.
Nach einer Weile wühlte er aus seinem Bündel etwas Hafer für das Pferd. Der Weg war nun gut begehbar. Nicht weit entfernt mußte ein Dorf liegen. Doch die Stille war beunruhigend. Kein Hund war zu hören, kein Vogel oder anderes Tier. Es gab kein anderes Geräusch außer seinen eigenen Schritten und dem unregelmäßigen Rhythmus der Ponyhufe. Und hoch über ihm stöhnte der immerwährende Wind durch die kahlen, verdorrten Äste des toten Waldes.
Die Einsamkeit war zu groß. Selbst ein Leibwächter wäre ihm jetzt eine willkommene Begleitung gewesen, vielleicht auch zwei, die über die schlechten Wegmöglichkeiten plauderten. Er erinnerte sich, wie er mit Lew um Armida herumgeritten war, auf der Jagd oder um die Hüter der Pferdeherden im offenen Hochland zu besuchen. Plötzlich, als habe ihn dieser Gedanke wieder zu Sinnen gebracht, stand Lews Gesicht vor ihm, erhellt durch ein Schimmern – aber es war kein Feuerglanz! Es glühte, schimmerte in blauem Licht, verzerrte den Raum, fuhr ihm in die Eingeweide. Der Schimmer einer Matrix! Unter seinen Füßen wankte und drehte sich der Boden, doch einen Moment lang, auch als Regis die Zügel fallen ließ und die Hände vor die gequälten Augen schlug, sah er eine große Gestalt auf der Innenseite seiner Lider, direkt in seinem Gehirn, Form annehmen.
… eine Frau, eine goldene Göttin, Flammenkleider, Flammenkrone, goldene Ketten, brennend, glühend, flammend, verzehrend …
Dann verlor er das Bewußtsein. Über seinem Kopf blickte das Bergpony vorsichtig umher und beschnupperte unruhig den bewußtlosen Jungen.
Das Schnauben des Tieres weckte ihn einige Zeit später wieder auf. Der Himmel war dunkler geworden, und es schneite so heftig, daß eine Schneewolke von ihm abfiel, als er sich steifbeinig wieder erhob. Ein schwacher, ekelhafter Geruch bedeutete ihm, daß er sich in der Ohnmacht übergeben hatte. Was in Zandrus Hölle ist mit mir geschehen?
Er zog die Wasserflasche aus der Satteltasche und spülte sich den Mund aus. Ihm war allerdings immer noch zu übel, um die Flüssigkeit hinunterzuschlucken.
Es schneite so heftig, daß er sofort einen Unterschlupf finden mußte. Man hatte ihm in Nevarsin beigebracht, wie man an unwirtlichen Orten Schutz suchen konnte. Selbst ein dichtes Unterholz würde ausreichen, doch an einem Weg, der offenbar viel begangen wurde, gab es sicher Hütten. Er hatte recht. Ein paar hundert Schritte weiter bildete der Umriß einer großen Steinscheune ein schwarzes Quadrat in der wirbelnden Weiße. Die Mauern waren durch das Feuer, das darüber hinweggefegt war, geschwärzt. Einige Ziegel waren eingestürzt, doch jemand hatte die Tür grob mit Brettern repariert. Eis und Schneewehen vom letzten Sturm türmten sich am Eingang auf, doch er wußte, daß man in den Bergen die Türen in Erwartung solcher Notfälle gewöhnlich unverschlossen ließ. Nach einiger Mühe gelang es Regis, sich und das Pony durch die grobe, halbgeöffnete Tür hindurchzuzwängen, in düstere und stickige Finsternis
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