Hauch der Verfuehrung
junge Mann, die ihn angestarrt hatten, außerdem eine Dame mittleren Alters, die er noch nie gesehen hatte.
Direkt vor ihm, auf dem Sofa gegenüber der Tür, saßen zwei Matronen, von denen eine Barnaby mit aufglimmendem Missfallen musterte.
Obwohl er nicht in ihre Richtung schaute, war sich Gerrard doch überdeutlich der Anwesenheit der Frau bewusst, die alleine dastand und alles gleichmütig von der anderen Seite des Raumes aus beobachtete.
Seine Ungeduld zügelnd blieb er neben Cunningham stehen, der einen Schritt von der Schwelle entfernt wartete. Barnaby kam dicht hinter ihm zum Stehen. Gerrard blickte zu den jungen Mädchen, wartete ab, welche von ihnen vortreten würde - er wollte wissen, welche von den dreien zu malen ihm ein Gräuel wäre. Zu seiner Überraschung regte sich keine von ihnen.
Die Dame mittleren Alters kam mit willkommen heißender Miene auf ihn zu.
Das tat auch die einzelne Dame zu seiner Linken.
Die ältere Frau konnte es nicht sein. Sie war zu alt.
Die jüngere Dame trat näher; da konnte er nicht länger widerstehen und schaute sie geradewegs an.
Und sah sie, ihr Gesicht zum ersten Mal im Licht.
Er fing ihren Blick auf und erkannte seinen Irrtum.
Sie war keine Gouvernante. Und auch keine Gesellschafterin.
Die Dame, die zu malen es ihn schon in den Fingern juckte, war Lord Tregonnings Tochter.
2
Von beiden Seiten näherte sich eine Frau, und Cunningham war sichtlich unsicher, welche er zuerst vorstellen sollte. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen von der Dame mittleren Alters, die sich Gerrard mit einem Lächeln präsentierte. »Ich bin Millicent Tregonning, Lord Tregonnings Schwester.« Sie hielt ihm die Hand hin. »Lassen Sie sich von mir herzlich willkommen heißen auf Hellebore Hall.«
Braunhaarig, gut, wenngleich streng gekleidet und mit eher spitzen Zügen bewahrten ihre sanften haselnussbraunen Augen Millicent Tregonning davor, zu hart zu wirken. Gerrard nahm ihre Hand, verneigte sich darüber. »Danke.«
Er stellte Barnaby vor; als er beiseite trat, um seinem Freund Platz zu machen, damit er die ältere Miss Tregonning begrüßen konnte, geriet er in die Nähe der jüngeren -Lord Tregonnings Tochter, seinem Modell. Ihr würde sein künstlerisches Hauptaugenmerk in den nächsten Monaten gelten.
Sie war neben ihrer Tante stehen geblieben; sie war durchschnittlich groß und trug ein apfelgrünes Musselinkleid, das einen bezaubernden Blick auf einen großzügigen Busen freigab, eine schmale Taille andeutete, ansprechend gerundete Hüften und lange, wohlgeformte Schenkel umschmeichelte. Sie wartete ruhig, während Barnaby noch zur Begrüßung mit ihrer Tante Artigkeiten austauschte. Da er im Augenblick nichts anderes zu tun hatte, musterte Gerrard die junge Dame.
Gelassen wandte sie sich zu ihm um, schaute ihn offen an. Ihre Augen, eine Mischung aus Gold, Bernstein und Grün, waren groß und gut geschnitten, lagen unter köstlich gewölbten dunkelbraunen Brauen. Ihr Haar war von einem glänzenden Teakbraun, durchzogen von helleren Strähnen, und ordentlich zu einem Knoten gesteckt, aus dem sich ein paar feine Löckchen gelöst hatten. Das blasse Oval ihres Gesichtes wurde von einer geraden Nase akzentuiert; ihr Teint war makellos, Elfenbein mit einem gesunden Schimmer. Ihre Lippen waren perfekt gezeichnet, voll und weiblich, unglaublich geschmeidig - und überaus ausdrucksstark. Er wusste bereits, wo er nach Hinweisen auf ihre wahren Gedanken suchen musste, auf ihre wahren Gefühle.
Im Augenblick glichen ihre Augen dem glatten Wasser tiefer Teiche, ruhig und selbstsicher. Sie beobachtete, schätzte ein und behielt ihre Überlegungen vollkommen für sich. Völlig gelassen und sicher. Trotz seiner Anwesenheit und der seines Freundes vermochte er nicht das geringste Anzeichen von weiblicher Unruhe zu erkennen.
Sie sah sie beide nicht als Gentlemen - als Männer, sondern irgendwie anders.
Die Wahrheit erkannte er, als sie zu ihrer Tante blickte. Sie sah in ihm nur den Maler.
»Und das ist meine Nichte, die Tochter meines Bruders, Miss Jacqueline Tregonning.«
Jacqueline drehte sich zu Gerrard Debbington um. Lächelnd hielt sie ihm ihre Hand hin. »Mr. Debbington, ich hoffe, Ihre Reise zu uns war angenehm - es ist eine so weite Strecke.«
Er schaute ihr wieder in die Augen, dann nahm er ihre Hand; die langen Finger, die ihr vorhin schon aufgefallen waren, schlossen sich um ihre, nicht zu fest, aber sicher. Er verneigte sich formvollendet, ohne den Blick von ihr zu
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