Hauch der Verfuehrung
fangen - und zwar bald.«
»Allerdings.« Sein scharfer Ton lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Und unser erster Schritt dazu ist, das Bild fertigzustellen.«
Wenn überhaupt, so schienen der Fund von Thomas’ Leiche und ihre Mutmaßungen über seinen Tod ihre Entschlossenheit nur bestärkt zu haben. Er erinnerte sich an seinen Gedankengang neulich: Wenn er der Mörder wäre, dann würde er sie fürchten und darauf achten, sie nicht zu unterschätzen.
Gerrard griff nach ihrem Arm. »Ich erwäge ernsthaft, Sie bei Kerzenschein zu malen. Kommen Sie her.« Er zog sie zum Ende der Kaminumrandung und stellte sie in die gleiche Positur wie zuvor. Dann nahm er das oberste Kleid von dem Stapel auf dem Stuhl - das, dessen Farbe seinen Vorstellungen am ehesten entsprach. Er reichte es ihr. »Hier, nehmen Sie dies hier.«
Jacqueline tat, wie ihr geheißen. Sie hatte schon vor langer Zeit alle Tränen für Thomas vergossen; es war tröstlich gewesen, ihre Wut in Worte zu fassen, sich dazu bekennen zu können - sie laut zu äußern und damit zu verstärken. Sie sah zu, wie Gerrard einen Schritt zurücktrat und sie mit dem Auge des Künstlers musterte. Darin stand immer, wenn er sich in seine Kunst versenkte, ein bestimmter Ausdruck, den wiederzuerkennen sie lernte.
Das war auch tröstlich, denn es machte sie frei, an andere Dinge zu denken. Obwohl er von ihrer Wut gehört hatte - doch gewiss eine ungewöhnliche Reaktion einer jungen Frau auf die Nachricht des gewaltsamen Todes ihres Verlobten, oder? -, hatte er sie nicht verurteilt. Er hatte sie einfach akzeptiert und schien sie sogar zu verstehen - oder zumindest nichts Schockierendes in ihrem Verhalten zu sehen.
Er runzelte die Stirn. »Das Licht ist zu gleichmäßig.« Er blickte zur Lampe, dann sah er sich suchend im Zimmer um. »Ein Kerzenständer?«
»Auf der Kommode neben der Tür.«
Er durchquerte das Zimmer und holte ihn. Er bückte sich und entzündete die Kerze am Feuer im Kamin, dann richtete er sich auf und griff nach ihrer rechten Hand. »Hier, halten Sie ihn so.«
Da stand sie also, in der einen Hand den Kerzenleuchter, in der anderen das Kleid, während er zur Lampe ging. Er drehte den Docht zurück; das Licht wurde schwächer und erlosch.
Dann stellte er sich wieder vor sie, musterte sie eindringlich; schließlich löschte er auch die andere Lampe. Wieder betrachtete er sie, dann drehte er ihren Arm ein wenig. »So. Bleiben Sie so.«
Er trat einen Schritt zurück, dann noch einen. Seine Augen wurden schmal, er studierte sie prüfend; leise erklärte er: »Ich verspreche, dass Sie nicht die ganze Zeit die Kerze halten müssen - ich versuche nur, eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, wie es aussehen würde, wenn ...«
Seine Worte verklangen. Sie beobachtete, wie er sie anschaute, nicht als Mann, sondern als Maler. Sie sah die Veränderung in seiner Miene, das Spiel des Kerzenlichts auf seinen Zügen, und dann, wie so etwas wie Ehrfurcht ihn erfasste.
Eine Minute verstrich schweigend, dann sah er ihr wieder ins Gesicht. »Perfekt.«
Sie lächelte.
Er blinzelte. Langsam. Seine Lider hoben sich, und plötzlich wusste sie, dass er sie nun mit den Augen eines Mannes sah. Sie war nicht länger nur sein Modell, sondern eine Frau. Eine Frau, die er, wie der Ausdruck in seinen dunklen Augen eindeutig erklärte, begehrte.
Das Herz schwoll ihr in der Brust; es schien erst langsamer zu schlagen, dann wieder heftig zu klopfen.
Der Drang, sein Verlangen zu testen, erfasste sie. Der Mörder hatte ihr jede Chance geraubt, das mit Thomas zu tun, doch eben wegen dieses Mörders war Gerrard nun da.
Der Wunsch schlug Wurzeln in ihr, wuchs und füllte sie aus. Langsam schloss sie die Finger, nahm das Kleid und hielt es von sich. Sie streckte den Arm aus, öffnete die Finger und ließ es achtlos zu Boden gleiten. Sein Blick wich nicht von ihr, folgte nicht der fallenden Seide.
Sein Blick aus dunklen, brennenden Augen blieb auf sie gerichtet. An seinen Seiten ballten sich seine Hände zu Fäusten, seine Wangenknochen traten hervor, und seine Lippen waren wie aus Stein gemeißelt.
Er würde sich nicht rühren, um - wie er es zweifellos sah - sie und ihre Unerfahrenheit auszunutzen; er widerstand der Versuchung, dem drängenden Wunsch, den sie in seinen Augen aufflackern sah.
Sie neigte den Kopf zur Seite, betrachtete ihn so kühn wie er sie. Sie spürte seinen Blick über ihren Körper gleiten, der sich durch das Feuer hinter ihr gegen den dünnen
Weitere Kostenlose Bücher