Hauchnah
von Alex verursachten Blutergüsse verblichen, aber noch sichtbar waren. „Er hat mich verletzt. Ich glaube wirklich, dass er mich umgebracht hätte. Aber er hatte etwas an sich, etwas in seinem Ton, das mir verraten hat …“ Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht.“
Mac beugte sich vor. „Sprich weiter.“
Sie befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen, bevor sie fortfuhr: „Etwas in seinem Tonfall ließ mich ahnen, dass er glaubte, das Richtige zu tun. Das, was Gott von ihm verlangte.“
„Dann war er verrückt.“
„Ja“, bekräftigte sie matt. „Verrückt.“
Er verzog das Gesicht. Wider besseren Wissens hatte er das Wort „verrückt“ benutzt, doch sie nahm es offenbar nicht übel. „Man hört oft die Meinung, dass die meisten Verbrecher anderen gegenüber gewalttätig werden, weil sie nicht richtig im Kopf sind. Weil die Gesellschaft oder die Biologie sie der Fähigkeit zu rationalem Denken beraubt hat.“
„Aber das glaubst du nicht?“
„Kommt darauf an. Ich glaube, in seltenen Fällen kann eine Geisteskrankheit einen Menschen zu Taten treiben, die er normalerweise nicht ausüben würde. Aber meistens geben die Menschen sich meiner Meinung nach einfach nicht genug Mühe, der Versuchung zu widerstehen. Sie geben zu leicht nach, weil sie Angst vor der Alternative haben.“
„Hm“, antwortete sie nur. „Das bedeutet dann wohl, dass du und Liz jetzt gehen könnt. Danke für alles, was ihr für mich getan habt.“
Ihre gefasste Verabschiedung ärgerte ihn, und nicht nur, weil er sie im Augenblick nicht hören wollte. Die Vorstellung, diese Worte überhaupt irgendwann hören zu müssen, behagte ihm nicht. „Bist du gläubig, Natalie?“
Seine unerwartete Frage überraschte sie offensichtlich. IhreMiene verriet zuerst Verwirrung, dann Resignation. Offenbar vermutete sie eine Art Berufskrankheit hinter all der Fragerei. Und zum Teil war es natürlich auch so. Aber da war noch mehr. Diese Frau weckte seine Neugier. Auch Melissas Informationen und alles, was er über Natalies Mutter erfahren hatte, reichten ihm noch nicht. Er wollte unbedingt wissen, was in ihr vorging. Woran sie dachte, wenn sie sich im Dunkeln vor neugierigen Augen und wissbegierigen, beziehungsscheuen Polizisten verkroch.
„Ich war früher einmal sehr religiös. Jetzt nicht mehr so sehr. Und du?“
„Mit einem Namen wie Liam McKenzie? Ich bin katholisch erzogen. Sonntagsschule. Messe. Beichte. Das volle Programm.“
„Ja, aber das ist keine Antwort auf meine Frage. Bist du praktizierender Katholik?“
„Ich glaube an Gott. Ich bemühe mich, Ostern und Weihnachten zur Messe zu gehen. Aber nein, religiös bin ich nicht, wenn du damit meinst, ob ich alles glaube, was die Kirche predigt. Meine Frau neigte eher zu strenger Auslegung. Als wir uns kennenlernten, war sie noch nicht so, aber im Lauf unserer Ehe nahm diese Neigung zu. Man könnte wahrscheinlich sagen, ich hätte sie dazu getrieben.“
„Soll das heißen, dass die Religion zu eurer Scheidung geführt hat?“
„Wir hatten ohnehin Probleme, und ich glaube, deswegen hat sie sich der Kirche zugewandt.“
„Gibst du der Kirche die Schuld an eurer Scheidung?“
Ihre Hartnäckigkeit erschreckte ihn. „Ehrlich? Anfangs vielleicht ein bisschen. Ich wollte keine Scheidung. Ich dachte, die Kirche wäre verpflichtet, uns zu helfen. Doch sie war wohl stärker daran interessiert, ihre Glaubenssätze zu verbreiten, als uns wirklich bei der Lösung unserer Probleme zu helfen. Institutionalisierte Religion habe ich schon immer skeptisch betrachtet. Da geht es ständig um Ausschließung oder darum, Menschen mit Drohungen zu einer bestimmten Handlungsweise zu zwingen.“
„Eine Art Strafgesetz, nicht wahr?“
Er musste unwillkürlich lächeln. „Eins zu null für dich. Doch letztendlich ist das Strafgesetz eher wie eine Schleuse und versucht, das Leben im Hier und Jetzt so sicher wie möglich zu gestalten. Es geht nicht in erster Linie ums Richten.“
„Hmm. Ich fürchte, mit dir kann ich nicht streiten, denn ich bin keine Rechtsgelehrte. Aber darum scheint es mir auch in der Religion zu gehen.“
Sie ist irgendwie verändert, dachte Mac. Sie hatte ihn von Anfang an herausgefordert, doch an diesem Tag schien sie unsicher zu sein, wie sie mit ihm umgehen sollte, bedrängte ihn einerseits und verfiel dann wieder in eine beinahe kokette Schlagfertigkeit. War sie sich dessen überhaupt bewusst? Oder fühlte sie sich inzwischen einfach wohler in seiner
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