Haunted (German Edition)
den gesunden Menschenverstand hinweg.
Luther seufzte. Er mochte die Rainey Street nicht. Dies würde er vor keinem Menschen zugeben, aber es war die Wahrheit. Irgendetwas an dieser Straße war ihm nicht geheuer. Allein in den letzten drei Monaten hatten sich dort drei Morde und fünfzehn Schlägereien, die zu Verletzungen führten, ereignet, eine Statistik, die sogar den Gesetzeshütern in Chicago zu denken geben würde.
Aber es war nicht nur die Gewalt, die ihm Sorgen bereitete. Mit Gewalt konnte er umgehen; das gehörte zum Job. Nein, es lag an der Atmosphäre des Ortes. Wenn er diese Straße entlangfuhr, wurde er manchmal ohne irgendeinen Grund nervös, und mehr als einmal, wenn kein anderer mit im Auto saß, machte er absichtlich einen Umweg über eine andere Straße, auch wenn der Weg über die Rainey Street praktischer gewesen wäre.
Gerade als Luther seinen Flachmann aus der unteren Schublade seines Schreibtisches nehmen wollte, klingelte das Telefon. Er öffnete schnell den Verschluss und nahm einen kurzen Schluck, bevor er abnahm. »Hier spricht Luther Dunlop.«
Am anderen Ende der Leitung war niemand.
»Hallo?«, fragte er, aber es folgte Stille.
Luther legte augenblicklich auf und riss seine Hand vom Telefon weg, als wäre es verseucht; er war überzeugt, dass der Anruf aus dem Mord-Haus gekommen war, obwohl es keinen Hinweis gab, so etwas auch nur anzudeuten.
War es am anderen Ende still gewesen, oder hatte er ein Flüstern gehört? Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass irgendjemand geflüstert hatte, auch wenn er um alles in der Welt nicht verstehen konnte, wer oder warum.
Die junge Ehefrau, die den Mord begangen hatte, Angie Daniels, war verhaftet worden und saß auf jeden Fall in einer Zelle, aber nur um sicherzugehen, ging er ins Gefängnis zurück, um nach ihr zu sehen.
Schockiert blieb er an der Türschwelle stehen.
Mrs. Daniels hatte ihre ganze Kleidung ausgezogen und stand mitten in ihrer Zelle, völlig nackt. Im Gefängnis saßen noch zwei weitere Gefangene – beide Männer, beide Säufer – und er hätte erwartet, dass sie die Sau heraus ließen, sie anmachten oder zumindest anstarrten . Aber sie hatten sich beide weggedreht und sich in die letzte Ecke ihrer eigenen Zellen zurückgezogen, den Wänden zugewandt, als hätten sie Angst.
Sie wandte den Kopf, um Luther anzuschauen, und was sie sagte, ergab keinen Sinn, auch wenn es ihm Angst einjagte.
»Ich war in dem Zimmer, in dem Dinge alt werden.«
Sie erschien ihm jetzt älter, als sie war, als er sie verhaftet hatte, und obwohl er sie normalerweise streng ermahnt und ihr befohlen hätte, ihre Kleider wieder anzuziehen, drehte er sich dieses Mal um und schloss und verriegelte die Gefängnistür hinter sich.
Erneut klingelte das Telefon, aber er hatte Angst, abzunehmen, und ließ es klingeln.
Er ging nach draußen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er dachte darüber nach, wie Mrs. Daniels in dem Haus ausgesehen hatte und wie sie jetzt in ihrer Zelle aussah, er versuchte herauszufinden, was an ihr anders erschien, warum er dachte, dass sie jetzt älter aussah. Lag es daran, was sie gesagt hatte? Diese bizarre unsinnige Aussage?
Ich war in dem Zimmer, in dem Dinge alt werden.
Oder lag es daran, dass sie nackt war, weil ohne Kleid und Gürtel Körperteile, die eingezogen worden waren, herausfallen konnten?
Nein. Es war nicht nur ihr Körper. Ihr Gesicht sah runzeliger aus. Und ihre Haare schienen grauer. Luther hatte keine Ahnung, wie das möglich war, aber es stimmte, und die Tatsache, dass die anderen Gefangenen vor ihr Angst hatten, ließ ihn glauben, dass sie die gleiche Veränderung an ihr bemerkt hatten wie er.
Im Revier hörte das Telefon auf zu klingeln, und kurze Zeit später kehrte sein Deputy zurück, der Mr. Daniels Leiche in die Gerichtsmedizin begleitet hatte. Jim Sacks war kein guter Deputy und strohdumm, aber Luther war wirklich froh, ihn jetzt zu sehen. Er erklärte ihm, was im Gefängnis vorgefallen war, und Jim reagierte darauf völlig normal: Er grinste und sagte: »Das will ich sehen!«
Die Antwort des Deputys machte Luther Mut, und er folgte Jim in das Gebäude. Jim riskierte einen Blick, dann verwandelte er sich wieder in einen Polizisten und befahl Mrs. Daniels, ihre Kleidung anzuziehen, was sie tat. Draußen im Büro zwinkerte der Deputy, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Danke, dass du auf mich gewartet hast. Was für eine Frau, oder?«
Luther hatte diese Nacht
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