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Hauptsache, es knallt!

Hauptsache, es knallt!

Titel: Hauptsache, es knallt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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immer noch rumgrölen. Aber hilft ja nichts. Wir müssen sehen, dass wir hier wegkommen …
    Nanu? Der Admiral scheint der gleichen Meinung zu sein. Ich muss zweimal hinsehen, aber es stimmt wirklich: Sein Hinterteil wackelt unruhig in der Parklücke hin und her. Bilde ich mir das nur ein? Sosehr ich an eine innige Seelenverbindung zwischen meinem Wagen und mir glaube, er kann doch nicht wissen, in was für einer Lage wir stecken. Oder ist heute alles möglich?
    Die Blicke der anderen kleben ebenfalls am Admiralsheck fest. Es liegt also nicht an meinem Alkohol­pegel. Ich breite meine Arme aus und bedeute der Gruppe, hinter mich zurückzutreten. Langsam, Schritt für Schritt, nähere ich mich meinem geliebten blauen Schiff, das Schwert fest mit der rechten Hand gepackt. Es gibt Stephen-King-Bücher mit Autos. Ich erinnere mich dunkel, dass sie da ein Eigenleben entwickeln oder von irgendwelchen dunklen Mächten beherrscht werden. Aber das sind nur Bücher, beruhige ich mich. Nur Stephen King.
    Noch wenige Meter. Was auch immer mit meinem Wagen ist, gleich werde ich es wissen.
    Und einen Moment später weiß ich es. Zuerst falle ich vor Schreck fast rückwärts um. Dann halte ich es für eine Vision. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr ergibt das alles Sinn. Auch wenn es noch so lange her ist … Ich drehe mich um und gehe zurück zu meiner wartenden Flüchtlingsgruppe. Siebzehn Augenpaare wollen Antworten von mir.
    »Tut mir leid, wir können den Admiral nicht nehmen.«
    »Warum denn nicht, Tim?«
    »Weil heute alles möglich ist.«
    »Hä?«
    »Schaut selbst, wenn ihr wollt. Aber pssst!«
    Ich weise mit dem Schwert auf den Wagen. Und während sich nun auch die anderen leise an dessen große Fenster heranschleichen und gleich sehen werden, wie Wiese und Schnitzki sich auf dem Rücksitz gegenseitig ihre zutiefst schwulen Seelen aus dem Leib vögeln, setze ich mich auf die nächste Motorhaube. Wenn ich Raucher wäre, würde ich jetzt bestimmt erst einmal eine rauchen. Ich sollte morgen einen »Make love, not war«-Aufkleber an dem Admiralsheck anbringen, geht mir durch den Kopf. Aber vielleicht sollte ich auch einfach nur das Türschloss in Ordnung bringen lassen.
    Es dauert etwas, bis auch der Letzte aus meiner Gruppe kopfschüttelnd zurückgekommen ist. Ich habe die Zeit genutzt und mir eine neue Auto-Aufteilung ausgedacht. Wir haben ja noch Sveas alten Audi, ist mir ­eingefallen. Und im Gegensatz zu mir hat sie ihren Zündschlüssel sogar in ihrer Tasche. Nur fahren kann sie eindeutig nicht mehr. Macht aber nichts, die Eltern Mitscherlich und Namida Ziegler können noch Lenkradverantwortung übernehmen. Ich will gerade damit beginnen, den Rest der Bagage auf sinnvolle Weise auf die Wagen zu verteilen, und habe bereits mein Schwert als Zeigestock in die Luft gehoben, als schon wieder das passiert, was an diesem Tag schon so oft passiert ist: nämlich das Schlimmste, was man sich in einem Moment überhaupt nur vorstellen kann.
    Zuerst hören wir, wie die Schlosstür aufkracht. Dann hören wir von weitem das schreckliche Lied. Dann ­sehen wir, wie Füllkrugs grölende Polonaiseschlange direkt auf uns zukommt. Henriette kreischt auf. Uns bleiben nur wenige Sekunden für eine ungeordnete Flucht. Ich greife mir jeden, den ich am Schlafittchen kriegen kann, und stopfe ihn in irgendein Auto. Die Russen springen mutig in den Anhänger. Leider folgen schreckliche Mitgröl-Lieder wie »Lieschen, Lieschen« meist einem altbekannten Schema: Gegen Ende wird der Refrain immer schneller gesungen, so lange, bis alle durcheinanderpurzeln. Und genau in dieser Immer-schneller-sing-Phase sind Füllkrug und sein Grölverein gerade. Und so kommt es, dass sich die stur im Takt marschierende Polonaiseschlange vor unseren Augen in ­einen tückischen Rennwurm verwandelt. Eins, zwei, drei sind sie bei uns auf dem Parkplatz angekommen, bevor wir auch nur eine unserer vollgestopften Rettungs­archen starten konnten.
    »Ja, da sind se ja, unsere junge Leute!«
    »Ja, da sind wir ja, Diethart.«
    »Darf mer fragen, wo ihr hinwollt, Häuptling blaues Auge?«
    »Och, das wissen wir selbst noch nicht so genau.«
    »Ja, aber da kommen mer doch mit! Ihr sagt, wo et langgeht, und mer mache de Stimmung! In die Autos, Kinder!«
    Und, ganz ehrlich, in diesem Moment wäre es mir sogar lieber gewesen, sie hätten wieder angefangen, das schreckliche Lied zu grölen, meinetwegen sogar mit Verstärkerturm und Techno-Beat. Aber nein, alles

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